Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
Millionen Touristen an – und wer mit ein wenig Wissen im Hintergrund sehenden Blickes die Akropolis besucht, sich den Touristenströmen entzieht und vor dem inneren Auge die Akropolis der Antike wiedererstehen lässt, wird bereichert wieder hinabsteigen in die tosende Metropole Athen.
*PETRA, JORDANIEN
Die Zeustochter Klio, den alten Griechen die Muse der Geschichtsschreibung, ist eine höchst wankelmütige, vergessliche und ungerechte Dame. Denn vieles geht dem menschheitlichen Langzeitgedächtnis verloren und sinkt ins tiefe Dunkel der Geschichte. Deshalb sind historische Erkenntnisse und Gewissheiten immer nur Fragmente und müssten eigentlich stets mit dem Hinweis versehen werden, dass rund um das Belegte, Beschriebene, Gepriesene immer noch ein ungleich größerer Anteil Vernachlässigtes, Vergessenes, Abgewertetes verborgen lauert. Ganzen Völkerschaften ist so Ungerechtigkeit widerfahren, weil sie vergessen, ignoriert oder totgeschwiegen wurden. Manchmal aber gibt es wenigstens eine gewisse Wiedergutmachung.
So geschah es mit dem Volk der Nabatäer, als 1812 der Schweizer Orientreisende Johann Ludwig Burckhardt auf ihre vergessene Hauptstadt Petra stieß. Zwar waren zu Zeiten der Kreuzzüge der europäischen Christenheit im 12 . und 13 . Jahrhundert in der Stadt zwei Burgen gebaut worden, aber das blieb Episode. Im Unterschied zu ihrer Stadt waren die Nabatäer selbst zwar nicht gänzlich in Vergessenheit geraten, aber erst durch die Wiederentdeckung der geheimnisvollen, untergegangenen Stadt erfuhr das arabische Volk die verdiente Würdigung.
Die Herkunft der Nabatäer lässt sich nicht mehr zweifelsfrei ermitteln, die Forscher stimmen aber darin überein, dass sie Araber waren. Viel spricht dafür, dass sie ursprünglich aus Mesopotamien oder dem heutigen Saudi-Arabien stammten. Wer in der Antike über die Nabatäer berichtete, hob hervor, wie gut sie sich der unwirtlichen Wüste angepasst hatten und dort zu überleben vermochten – und wie sie diese vermeintlich feindliche Umgebung zu ihrem Schutz nutzten, wenn sie bedroht oder angegriffen wurden. Die Nabatäer kannten die Wüste wie ihre eigene Westentasche und achteten sorgfältig darauf, auf ihren Zügen keine Spuren zu hinterlassen. Außerdem hatten sie für Notfälle stets vorgesorgt, indem sie Wasserreservoire anlegten, von denen nur sie Kenntnis besaßen. Das gab ihnen Sicherheit und Bewegungsfreiheit in der kargen Wüstenregion Jordaniens und gewährleistete lange Zeit ihre Unabhängigkeit. Die Kenntnis der Wüste war maßgebliche Voraussetzung für die atemberaubende Entwicklung, die die Nabatäer durchliefen – sowohl hinsichtlich der Geschwindigkeit als auch der Art der Veränderungen: Innerhalb kürzester Zeit wurde aus den Nomaden und Händlern aus Gelegenheit ein Volk von Bauern, Städtern und professionellen Handelsleuten, mit Königen und eigenen Münzen, mit glanzvollen Städten und einer reichen Oberschicht – und nicht zuletzt mit einer leistungsfähigen Landwirtschaft dank ausgefeilter Bewässerungstechnik, wie sie in einer kargen Wüstenregion überlebensnotwendig war.
Das faszinierendste Zeugnis dieses Aufstiegs der Nabatäer ist ihre Hauptstadt Petra: im heutigen Jordanien gelegen, auf halber Strecke zwischen dem Golf von Akaba – ein schmaler Arm des Roten Meeres in nordöstlicher Richtung – und dem Toten Meer. Die Kapitale befindet sich an einem wichtigen Punkt der ehemaligen Weihrauchstraße, einer der wichtigsten Handelswege der Antike. Diese verband die Herkunftsregion von Weihrauch und Myrrhe in Südarabien mit dem Mittelmeer und gabelte sich in Petra: Die nördliche Route führte nach Damaskus, die südliche nach Gaza. Lange hatten die Minäer aus dem heutigen Jemen den Handel weitgehend kontrolliert, bis die Nabatäer vom Verfall des minäischen Reiches Ende des 2 . Jahrhunderts v. Chr. profitieren konnten – und von der stetig steigenden Nachfrage aus dem Mittelmeerraum bei entsprechend steigenden Preisen und Gewinnmargen.
Erstmals historisch gesichert traten die Nabatäer Ende des 4 . Jahrhunderts v. Chr. in Erscheinung. In diesem Ereignis des Jahres 312 v. Chr. präsentierten sie sich als kämpferisch: Sie widerstanden erfolgreich Antigonos I . Monophthalmos (»der Einäugige«), einer der Diadochenherrscher des zerfallenden Alexanderreiches, die nach dem plötzlichen Tod Alexanders des Großen ein möglichst großes Stück vom Kuchen des Weltreiches abhaben wollten. Die Diadochen bekämpften einander um
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