Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
dreien seiner fünf Türme auch im mittleren Querstreifen der kambodschanischen Nationalflagge abgebildet ist. Errichtet wurde er von Suryavarman II ., der in der ersten Hälfte des 12 . Jahrhunderts über Angkor herrschte. Allzu viel wissen wir von diesem König nicht, und das meistedes wenigen Bekannten stammt von Inschriften, deren tendenziöse Aussage kritisch hinterfragt und mit anderen Informationen abgeglichen werden muss. Gebürtig aus dem heutigen Thailand, war er kein direkter Nachkomme seines Vorgängers, wenn auch sein Großneffe, und gelangte als vermutlich machthungriger, jedenfalls blutjunger Kerl auf den Thron, indem er den lästigen alten König kurzerhand ermordete. Dieser Auftakt erwies sich als programmatisch, denn Suryavarmans Herrschaft sollte recht kriegerisch ausfallen – und es erscheint geradezu zwingend, dass er nach fast vier Jahrzehnten als Herrscher auf einem Feldzug zu Wasser ums Leben kam.
Sein größter Tempel war zu seiner Zeit auch der größte überhaupt – und den Forschern ist bis heute ein Rätsel, was eigentlich seine genaue Bestimmung war. Die bauliche Anlage weist nämlich einige gestalterische Besonderheiten auf, deren Grund bislang nicht geklärt werden konnte. Dazu gehört, dass er im Unterschied zu anderen Tempeln statt nach Osten nach Westen ausgerichtet wurde. Er könnte daher als Grabtempel konzipiert worden sein, denn der Westen steht mit dem Sonnenuntergang für den Tod. Er könnte aber auch als Stätte für Pilger gebaut worden sein, die mittels der vielen Bilderreliefs im Sinne des Erbauers religiös belehrt werden sollten. Aber auch dann ist noch nicht klar, ob diese Besucher eine handverlesene Elite waren oder die Masse des Volkes. Und stand der Tempel seinen Besuchern stets offen oder nur zu allerhöchsten Festtagen? Andere Stimmen behaupten, die ganze Anlage sei ein bis in winzige Details getreues mikrokosmisches Abbild der Welt gemäß der hinduistischen Glaubenslehre, inklusive einer Zahlenmystik, die die Maße der Tempelanlage erklären kann, und einer ausgeklügelten astronomischen Ausrichtung. Die Khmer waren bekanntermaßen gewiefte Astronomen, und in der Tat hilft die Sonne in ihrem Jahresgang ganz erheblich dabei, das besondereAugenmerk auf jeweils bestimmte Bilder der Relieferzählungen zu ziehen. Angkor Wat wäre dann eine fromme Tat des Königs, der die göttlichen Sphären auf Erden abbilden wollte und mit der reichen Bilderwelt stimmig zu beleben suchte. Oder war das Fromme nur vorgeschoben, und der Erbauer hatte eigentlich nichts anderes im Sinn, als die eigene Größe zu verherr-lichen und davon der Nachwelt Zeugnis ablegen zu lassen – nur eben religiös korrekt? Einige dieser möglichen Erklärungen von Angkor Wat lassen sich durchaus miteinander kombinieren, was das Rätsel aber nicht leichter lösbar macht. In jedem Fall stellte der Bau eines Tempels eine Staatsangelegenheit dar, die bis in die Details von den höchsten religiösen Autoritäten abgesegnet werden musste. Nicht nur die Wahl der Bildmotive, auch die rein architektonische Ausführung galt als göttlich inspiriert.
Bislang ist außerdem rätselhaft, warum dieses riesige Gotteshaus dem Hindu-Gott Vishnu geweiht ist, wo doch Kambodscha im Allgemeinen und Suryavarmans Dynastie im Besonderen bislang vornehmlich Shiva verehrt hatte. Möglicherweise verfolgte Suryavarman eine Verschmelzung der bestehenden mit anderen Glaubensrichtungen oder wollte das Bestehende mit bestimmten neuen Inhalten anreichern. Vielleicht betrieb er ganz persönlich einen stärkeren Kult um diesen Gott als um denjenigen, den seine Vorgänger und Nachfolger sowie sein Volk hauptsächlich verehrten. Möglich auch, dass seine Art, sich die Religion mittels Vishnu politisch zunutze zu machen oder im Interesse seines Machtstrebens auszurichten, besonders erfolgreich war. Jedenfalls wurde Suryavarman II . nicht nur der kriegerischste, sondern auch der mächtigste König, der das Reich von Angkor je regierte.
Was auch immer sich zu Zeiten der Khmer-Gottkönige in Angkor Wat ganz konkret abgespielt hat – dass die bauliche Ausführung ein getreues Abbild der kosmologischen Vorstellungen ist, steht außer Zweifel: Wie der Berg Meru steht der Tempelberg in ihrem Zentrum. Die rechteckige Gesamtanlage misst 1 , 3 mal 1 , 5 Kilometer (die Maße könnten wie andere der riesigen Anlage kosmologische Bedeutung haben und den hinduistischen Weltzeitaltern entsprechen), eingefasst von einem Wassergraben von bis zu
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