Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
des zeremoniellen Teegenusses, gilt das für die reiche Teekultur, die eine eigene Philosophie ausgebildet hat, aber ebenso für die vielen Tempel und Schreine, die noch immer respektvoll gepflegt, besucht und verehrt werden. Das noch vielerorts idyllisch grüne Kyoto gilt als Herz Japans, während das benachbarte Osaka alssein Bauch und die heutige Hauptstadt Tokio als sein Kopf bezeichnet wird. Dieses Herz pulsiert nicht nur wegen der vielen Kunstschätze und Tempel, Gärten und Denkmäler, sondern insgesamt durch Kyotos Identität als wichtigste japanische Kultur- und Bildungsmetropole.
Als Impulsgeber sowie als Kulturbrücke für chinesische Einflüsse nach Japan diente in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung Korea. Auf diesem Weg fanden viele Innovationen den Weg in den äußersten Osten Asiens: von der Technik des Nassreisanbaus über die Seidenraupenkultur bis zu Bestattungsriten, von der chinesischen Schrift bis hin zu den Lehren Buddhas und des Konfuzius. Der Buddhismus wurde um 600 zur ernsthaften Konkurrenz des in Japan traditionellen Shintoismus um den Status als maßgebliche Religion im Land der aufgehenden Sonne. Mit buddhistischer Hilfe konnte sich in Japan ein bürokratischer Zentralstaat mit starker Beamtenschaft und dem machtvollen Kaiser an der Spitze herausbilden. Beide Religionen aber bewahrten nebeneinander und sogar miteinander verschmolzen ihren Einfluss. Der althergebrachte Shinto-Glaube Japans wurde vom Buddhismus, der aus Indien kam und auf dem Umweg über China und Korea seinen Einfluss auf Japan gewann, also keineswegs verdrängt. Vielmehr befruchteten sich die Religionen gegenseitig, zumal sie sich gut ergänzten: Shinto ist mehr auf das Diesseits und auf wirkliche Orte ausgerichtet, während der Buddhismus das Transzendente und die schwer lokalisierbare Seele im Blick hat. So konnte die Grenze zwischen den beiden Religionen regelrecht verwischen. Noch heute bezeichnen sich viele Japaner gleichzeitig als Anhänger beider Religionen, und die Tempel von Kyoto scheren sich meist wenig um passgenaue Unterscheidungen.
In der Frühzeit Japans wechselten sich die Hauptstädte, diskreditiert durch Tod, Naturkatastrophen oder Missernten, die man der Wirkmacht des Bösen in ihren Mauern zuschrieb, bis Anfang des 8 . Jahrhunderts in rascher Folge ab. Dann wurde Nara (damals Heijo-kyo) im Süden der japanischen Hauptinsel Honshu als erste ständige Hauptstadt für immerhin ein Dreivierteljahrhundert Regierungssitz. Längst war der Buddhismus zu einem politischen Machtfaktor geworden, dessen Spitze gar nach der Kaiserwürde griff – jedoch vergeblich. Nach dem unerhörten Vorfall der versuchten buddhistischen Machtergreifung wurde die Hauptstadt abermals verlegt, schon um den politischen Einfluss der Religion einzudämmen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Nach einem kurzen Intermezzo in Nagaoka wurde 794 eine Gegend nördlich von Nara zum neuen Regierungssitz und Zentrum des Landes auserkoren und blieb es für mehr als ein Jahrtausend: Heian-kyo (»Hauptstadt des Friedens«), das heutige Kyoto, in idyllischer, wenn auch klimatisch belastender Umgebung, von schützenden Bergen umgeben. Nunmehr sollte der Einfluss böser Kräfte versiegen – dafür sorgten strenge Fengshui-Maßstäbe an dem neuen Siedlungsort ebenso wie das Verbot buddhistischer Klöster im Zentrum der neuen Hauptstadt, um dem Einfluss der Mönche Grenzen zu setzen. Überhaupt gab es zunächst nur zwei Tempel in Kyoto: To-ji im Osten und Sai-ji im Westen. Heute dagegen weist keine Stadt Japans mehr Tempel und Schreine auf als die Kaiserstadt Kyoto – insgesamt rund zweitausend.
Kaiser Kammu, der in seiner 25 -jährigen Regierungszeit den Regierungsumzug befahl und das Land einer Verwaltungsreform unterzog, gilt vielen als der einflussreichste Kaiser der japanischen Geschichte überhaupt. Heian-kyo erhielt zu seiner Zeit nach dem Vorbild der damaligen chinesischen Hauptstadt Chang’an einen symmetrischen Grundriss mit dem Kaiserpalast im Zentrum, eine ausgedehnte, hochexklusive Stadt in derStadt, auf die Kyoto als Ganzes ausgerichtet war. Sechs Kanäle durchzogen die Stadt und versorgten zusammen mit Tausenden Brunnen die Gärten mit Wasser. Der zentrale Boulevard galt als breiteste Straße der Welt – nicht nur des grandiosen Eindrucks wegen, sondern auch als Schutzschneise im Falle eines Brandes. Wichtigstes Baumaterial war nun einmal das leicht entzündliche Holz. Allerdings konnte diese
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