Die Neunte Gewalt
Caretakers, Fährmann. Auf die hat unser Junge es abgesehen.«
27
Kimberlains Gedanken rasten noch immer, als er endlich Talley ans Telefon bekam.
»Diesmal sind Sie es, der mitgenommen klingt«, sagte sie, bevor er ihr mitteilen konnte, was er erfahren hatte.
»Aus gutem Grund. Einerseits glaube ich zu wissen, wo Leeds und die anderen sind.« Er schluckte hart. »Und andererseits kann ich Ihnen sagen, wie wir Tiny Tim erwischen können.«
»Soll ich schon zum Büro meines Vorgesetzten stürmen?«
»Sie sollten sich zuerst einmal alles anhören. Setzen Sie sich lieber. Es könnte eine Weile dauern …«
Dann dauerte es doch nur zehn Minuten, bis der Fährmann alles zusammengefaßt hatte. Jede einzelne dieser Minuten brachte Andrew Harrison Leeds seinem Ziel, das neunte Reich zu verwirklichen, ein Stückchen näher. Aber nun konnte man ihn aufhalten. Man mußte nur die Insel finden, auf der Renaissance ihr Hauptquartier hatte – dann würde man auch Leeds finden.
»Und was machen wir jetzt?« fragte Talley schließlich.
»Sie gehen zu Ihren Vorgesetzten, Lauren, und bringen sie dazu, eine umfassende Suchaktion zu starten. Wahrscheinlich müssen wir die Armee hinzuziehen, doch das dürfte kein Problem sein. Captain Seven wird die Möglichkeiten eingrenzen, und dann schicken wir die Kavallerie los.«
»Sie müssen zu einer vollständigen Unterweisung herkommen.«
»Schicken Sie den Lear-Jet nach Buffalo. Ich kann in zwei Stunden dort sein.«
»Was ist mit Tiny Tim, Jared?«
»Ich werde Captain Seven bitten, Ihnen die vollständigen Akten über alle Caretakers zu faxen. Spüren Sie die engsten noch lebenden Verwandten der acht anderen auf, und Sie werden wissen, wo Sie ihn zu suchen haben.«
»Mit Ihnen insgesamt neun.«
»Ich habe keine Verwandten mehr. Deshalb spart er mich wahrscheinlich bis ganz zum Schluß auf.«
Kimberlain dachte unentwegt darüber nach, auf dem Weg nach Buffalo und auch noch, während er neben der Landebahn auf den FBI-Lear-Jet wartete. Wer konnte einen so gewaltigen Zorn gegen die Caretakers hegen, um Taten zu begehen, wie Tiny Tim sie beging? Einer der Caretakers – jawohl. Bei Gott, Kimberlain und die anderen hatten genug Feinde in ihrem Kielwasser zurückgelassen. Aber sie alle? Das ergab keinen Sinn. Nur einmal hatte das gesamte Dutzend zusammengearbeitet, und das … na ja …
Die Insel San Luis Garcia …
Es war das einzige Mal gewesen, daß alle Caretakers als Einheit zusammengezogen wurden, daß Kimberlain die anderen, die angeblich genauso gut wie er selbst waren, mit eigenen Augen gesehen hatte. Im Interesse der Nation war damals die Beseitigung des despotischen Herrschers der Insel San Luis Garcia und die Einrichtung einer Marionettenregierung erforderlich gewesen. Zur Bestürzung aller hatte der Puppenspieler, ein amerikanischer General, den Entschluß gefaßt, seine eigenen Fäden zu ziehen. General Travis Seckle hatte anscheinend ureigene Vorstellungen davon, was für die Insel am besten war, und diese seine Vorstellungen standen in direktem Gegensatz zu denen der Vereinigten Staaten. Und noch schlimmer – er drohte, die peinliche Wahrheit über die Amtseinsetzung zu enthüllen, sollte man versuchen, ihn einfach wieder abzusetzen.
Die Caretakers waren kurz nach Mitternacht mit Fallschirmen auf die Insel abgesprungen und hatten sich den Weg zum Palast gebahnt, der auf einem Hügel lag. Seckle hatte versucht, seine Soldaten so zu postieren, daß er gegen ein solches Manöver gewappnet war, doch er hatte zu wenig Zeit gehabt. Und gegen eine kleine, in der Kunst des Tötens erfahrene Gruppe auf dem Niveau der Caretakers hätten wahrscheinlich die gesamten bewaffneten Streitkräfte San Luis Garcias keine Chance gehabt.
Sie waren schnell und problemlos bis zu den Außenmauern des Palastes vorgedrungen, konnten ihre Anwesenheit jedoch nicht mehr verbergen, nachdem sie erst den Innenhof betreten hatten. Es folgte ein blutiger Kampf, der sich schließlich in den Palast selbst verlagerte, und Seckle kam dabei um. Kimberlain hatte den Befehl bekommen, den Rückzug zu sichern, und den Palast selbst gar nicht betreten. Zwei Caretakers, die ihn betreten hatten, waren verwundet worden, und einer würde nie wieder einen Außeneinsatz bestreiten können. Doch es war diesen Preis wert gewesen. Wäre die Wahrheit über San Luis Garcia und Travis Seckle jemals durchgesickert, wäre der Schaden für die Regierung der Vereinigten Staaten wie auch für die Caretakers selbst
Weitere Kostenlose Bücher