Die Neunte Gewalt
Tür vor ihm.
»Ich habe gewußt, daß du untertauchen würdest«, sagte Kimberlain zu Captain Seven, als er die letzten paar Schritte in ein Bauwerk hinabmachte, das ein riesiger Fuchsbau mitten im ländlichen Connecticut hätte sein können. »Aber ich konnte nicht ahnen, daß du es wörtlich nehmen würdest.«
Captain Seven wartete auf dem Boden des Einstiegtunnels auf ihn.
»Klein, aber mein«, sagte er, während er in ein ordentliches, quadratisches Zimmer trat. »Gefällt mir aber nicht besonders hier. Kann noch nicht mal mein Pfeifchen rauchen, weil die Luftzufuhr nicht dazu ausreicht. Ich sage dir, es war nicht leicht.«
»Ich wollte mich gerade bezüglich der Architektur beschweren«, erwiderte der Fährmann.
»Nur zu. Das ist das einzige Vernünftige, was ich von den Schlitzaugen gelernt habe. Diese verdammten Tunnels, die sie unter das ganze Land gezogen hatten, waren Meisterwerke der Baukunst. Manchmal ließ nicht mal schweres Geschütz die Wände erzittern. Ich habe sie mir eines Tages mal genau angesehen und ein paar Pläne gemacht, die ich dann mit nach Hause genommen habe.« Captain Seven tippte sich mit der Fingerspitze gegen den Schädel. »Hier oben. Zum Glück, denn es ist möglich, daß wir eine beträchtliche Zeit hier verbringen müssen.« Er senkte die Stimme. »Tut mir leid, was in Pennsylvania passiert ist.«
»Ich bin froh, daß ich dich wieder erreichen konnte.«
Der Captain war untergetaucht, sobald er von dem Überfall auf Lauren Talley und dem vermeintlichen Täter gehört hatte. Dies konnte nur bedeuten, daß Leeds versuchte, Kimberlain von sämtlichen Verbindungen abzuschneiden, und wenn Leeds Peet gefunden hatte, würden ihm auch Sevens Eisenbahnwaggons nicht lange verborgen bleiben.
»Wie geht es Talley?« fragte Kimberlain.
»Sie wird's überleben, wie wir auch. Es geht ihr besser.«
»Immerhin etwas.«
»Willst du mir von Pennsylvania erzählen?«
»Später.«
Es schmerzte Kimberlain noch immer ungeheuerlich, sich an die Ereignisse im Ferienpark Towanda zu erinnern. Hedda – seine Schwester – war tot, doch irgendwie spürte er, daß sie genau das gewollt hatte. Als sie schließlich ihr wahres Ich gefunden hatte, hatte sie feststellen müssen, daß es nichts mehr gab, wohin sie zurückkehren konnte. Die Existenz eines Sohnes, den sie niemals kennenlernen durfte, verstärkte das Gefühl der Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit nur noch. Indem sie ihr früheres Leben so schnell zurückbekommen hatte, mußte sie dessen schlimmste Phasen noch einmal durchleben. Für sie gab es keinen Anlaß zur Hoffnung. Ihr Leben konnte keine Wendung zum Besseren nehmen. Zuerst hatte Kimberlain gedacht, Hedda habe fest geglaubt, der Junge, dessen Leben sie am Seeufer gerettet hatte, sei wirklich ihr Sohn gewesen. Auf dem Weg zu Captain Seven begriff er jedoch allmählich, daß sie genau gewußt hatte, daß dies nicht der Fall gewesen war, und daß es ihr völlig gleichgültig gewesen war. Es hätte genausogut ihr Sohn sein können, denn auch er war ihr völlig fremd. Es spielte einfach keine Rolle. Nachdem sie das endlich begriffen hatte, mußte der Schmerz dieser Erkenntnis genauso stark gewesen sein wie der der Kugeln, die ihr Rückgrat zerschmettert hatten.
Doch auch Kimberlain bekam seine Gefühle einfach nicht in den Griff. Die vergangenen vierundzwanzig Stunden hatten ein ganz neues Licht auf sein Leben geworfen: ein trüberes, dunkleres Licht, das ihn völlig entwurzelt hatte. Seine Eltern hatte er aufgrund verschwörerischer Manipulationen verloren und nun seine Schwester aufgrund verrückter Manipulationen eines einzelnen Mannes.
Aber es war doch eigentlich gar nicht seine Schwester gewesen, oder? Seine Schwester war auf der Insel umgekommen, während Leeds sie neu konditioniert hatte – doch irgendwie machte das alles nur noch schlimmer. Es nagte an ihm wie eine Wunde, die einfach nicht heilen wollte, und Kimberlain wußte, daß er sie nur schließen konnte, indem er das zerstörte, was sie aufgrund ihrer Konditionierung hatte miterschaffen sollen.
»Ich möchte erst einmal alles über TD-13 erfahren«, sagte er zu Captain Seven.
»Schlechte Nachrichten, Boß. Das ist der große Coup. Dieser Bursche ist noch besser, als du angenommen hast.«
»Raus damit, Captain.«
»Okay. Briarwoods Industries – dein Kumpel Leeds – kauft also die Firma PLAS-TECH, unmittelbar bevor sie einen Regierungsauftrag zur Herstellung hauchdünner Plastikstreifen bekommen. Derselbe
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