Die Neunte Gewalt
großartigen Umstrukturierung der Gesellschaft, die bald stattfinden wird, an meiner Seite wirken sollte.« Leeds' Finger kroch zu dem roten Knopf, der ein Stück neben den anderen auf der Konsole lag. »Aber nun haben Sie versagt. Und für Ihr Versagen gibt es nur einen Preis.«
Leeds drückte auf den roten Knopf. Chalmers' Körper verkrümmte sich schrecklich auf dem Stuhl. Sein Lautsprecher fiel zu Boden, und seine Glieder zuckten spasmisch.
»Eine Schande«, sagte Leeds laut. »Wirklich eine Schande.«
Und er schaltete den Bildschirm aus.
Chalmers wartete mehrere Minuten, bevor er die Augen öffnete. Er wollte ganz sicher gehen, daß T . Howard Briarwood ihn nicht mehr beobachtete. Es war eine Leichtigkeit gewesen, den Draht zu durchtrennen, der den Strom in seinen Stuhl leitete, und ihn an eine Glühbirne außerhalb des Kamerabereichs anzuschließen. Als die Glühbirne aufleuchtete, wußte Chalmers, daß es an der Zeit war, sich tot zu stellen.
Die Möglichkeit, daß Briarwood ihn beseitigen wollte, war für Chalmers schon immer sehr wahrscheinlich gewesen und in der letzten Zeit zunehmend wahrscheinlicher geworden. Schließlich hatte Chalmers sich entschlossen, die Sache auf die Spitze zu treiben; sein vermeintlicher Tod ermöglichte es ihm, den Rest seines Plans auszuführen.
Er sah auf die Uhr: nur noch ein paar Stunden, bevor er die nächste Phase einleiten mußte. Chalmers erhob sich aus dem Stuhl, trat zur Tür und blickte ein letztes Mal zu T. Howard Briarwoods Kamera hinüber.
»Es tut mir leid, Miß«, sagte der Polizist mit aller Höflichkeit, die er aufbringen konnte. »Die ganze Gegend bleibt abgeriegelt, bis wir sicher sind, daß keine Gefahr mehr droht.«
Hedda versuchte, außer Ärger keine Reaktion zu zeigen. »Was ist passiert?«
»Eine Plastikfabrik ist bis auf die Grundmauern abgebrannt. Die Luft ist noch immer mit Chemikalien verseucht.«
Hedda zuckte die Achseln und zog ihren Wagen herum. In ihr nagte die Furcht. Sie wußte, um welche Fabrik es sich handelte, ohne daß man ihr es erst sagen mußte; sie hatte es gewußt, seit sie mehrere Häuserblocks entfernt den ersten beißenden Brandgeruch wahrgenommen hatte. Sie hatte Leominster, Massachusetts, nach einer zweistündigen Fahrt vom Logan Airport in Boston erreicht, wohin sie von Paris aus geflogen war. Nach dem Flug und der anschließenden Fahrt war sie erschöpft gewesen, bis der scharfe, stechende Gestank eines Feuerinfernos sie wieder belebte.
Hedda stellte ihren Leihwagen auf einer Seitenstraße ab und näherte sich dem Werk PLAS-TECH zu Fuß. An ihren Pulli hatte sie den Presseausweis geheftet, der ihr Zutritt ermöglichte, wo er Normalsterblichen verwehrt war. Um die Scharade zu vervollständigen, hielt sie einen Notizblock mitsamt Kugelschreiber griffbereit.
Ein Feuerwehrmann mit rußgeschwärztem Gesicht saß auf dem Trittbrett eines Wagens, an dem Hedda vorbeiging. Sie blieb stehen und trat zu ihm.
»Wann hat das angefangen?«
»Ich bin seit zwölf Stunden hier.«
»Brandstiftung?«
»Könnte sein, aber das werden wir wohl nie herausfinden.«
Hedda machte ein paar Notizen. »Wie viele Tote?« fuhr sie dann fort.
Der Feuerwehrmann betrachtete sie voller Abscheu. »Woher kommen Sie, Lady?«
»Man hat mich von New York hierher geschickt.«
Er erhob sich. »Dann will ich Sie mal schlau machen. Als das Gebäude hochging, wurde dort eine volle Schicht gefahren. Jeder verdammte Arbeiter und Angestellter ist drauf gegangen.«
Es hatte vier Überlebende gegeben. Am Morgen war einer von ihnen bereits gestorben, und der Zustand der drei anderen war kritisch. Wie Hedda erfuhr, war diejenige der drei Verletzten, der es noch am besten ging, in die Abteilung für Verbrennungen des Massachusetts General Hospital eingeliefert worden.
Die Morgenausgabe des Boston Globe verriet ihr ziemlich viel von dem, was sie sonst noch wissen mußte, nicht nur das Feuer, sondern auch den Hintergrund der Firma PLAS-TECH betreffend. Es handelte sich um einen Plastikhersteller, der sich mit dem Weltraumprogramm eine goldene Nase verdiente, bis die NASA nach dem Challenger-Unglück alle Aufträge zurückgezogen hatte. Man hatte die Firma umstrukturiert und neue Aufträge an Land gezogen, dabei jedoch gewaltige Verluste erlitten. Dann hatte eine Tochtergesellschaft des mächtigen multinationalen Konzerns Briarwood Industries PLAS-TECH aufgekauft, und es waren Gerüchte im Umlauf, die Firma habe einen Regierungsauftrag bekommen, über den
Weitere Kostenlose Bücher