Die Neunte Gewalt
allerdings nichts Genaues bekannt war. Wie dem auch sei, die Aktien schossen nach oben, und die Firma war auf dem besten Weg gewesen, sich wieder zu erholen, als es letzte Nacht zu dem Brand gekommen war. Alles, so stand in dem Artikel zu lesen, deutete darauf hin, daß die Sprenkleranlage sich nicht eingeschaltet hatte.
Tragisch, aber keineswegs überraschend, überlegte Hedda. Jemand von PLAS-TECH mußte mit dem Plan zu tun haben, Lyle Hanleys transdermales Gift zu verbreiten. Hanley hatte es produziert, doch bis jetzt hatte Hedda nicht herausbekommen, wie es verteilt werden sollte. Vielleicht lag die Antwort bei PLAS-TECH. Vielleicht hatte das Werk irgend etwas hergestellt, das mit TD-13 behandelt worden war.
Im Krankenhaus schaltete Hedda eine weibliche Sicherheitskraft aus, sperrte die Bewußtlose in einen Vorratsraum und zog deren Uniform an. Die Überlebende des verheerenden Großbrands hieß Ruth Kroll. Hedda machte ihr Zimmer ausfindig und zuckte bei ihrem Anblick zusammen. Die Gestalt, die in dem Eisbett lag, erinnerte kaum noch an einen Menschen. Lediglich ihr linkes Auge und die linke Gesichtsseite waren nicht bandagiert. Der Rest ihres Körpers war von weißem Gaze umschlossen.
»Mrs. Kroll?«
Das Auge richtete sich langsam auf Hedda.
»Wir müssen uns unterhalten, Mrs. Kroll. Ich weiß, daß Sie Schmerzen haben, und es tut mir leid, aber das Feuer gestern nacht war kein Unfall. Es sollte alle Spuren davon verwischen, woran Sie bei PLAS-TECH gearbeitet haben. Das Feuer wurde von Leuten gelegt, die noch viel mehr Menschen töten wollen.«
Ruth Krolls Auge schimmerte von Tränen.
»Werden Sie mir helfen?«
Keine Reaktion. Doch das Auge hielt sie weiterhin im Blick und stellte ureigene Fragen.
»Ich kann an diese Leute herankommen, Mrs. Kroll. Ich kann sie aufhalten. Deshalb bin ich hier. Aber ich brauche Ihre Hilfe.«
Die bandagierte rechte Hand der Frau hob sich von dem Bett aus Eis. Hedda trat näher zu ihr und drückte einen Kugelschreiber hinein. Die Hand umfaßte ihn, so gut es ihr möglich war. Hedda hielt ihr den Notizblock hin.
Wer? fragte Ruth Kroll.
»Ich weiß es noch nicht.«
Das Auge blinzelte verbittert.
Wer? kritzelte Ruth Kroll erneut.
»Wer ich bin, meinen Sie. Dieselben Leute, die Ihnen das angetan haben, wollten auch mich töten. Sie werden es immer wieder versuchen, bis ich sie finde.«
Fragen Sie, schrieb die bandagierte Hand mit großen, ungelenken Buchstaben.
»Woran hat PLAS-TECH gearbeitet, seitdem die Firma von Briarwood Industries übernommen wurde?«
Vertrag.
Hedda blätterte die Seite um. »Ja, ein Regierungsvertrag. Das weiß ich. Aber was haben Sie hergestellt?«
Diesmal brauchte die Frau länger, um ihre Antwort niederzuschreiben. Die Buchstaben überlappten sich und waren kaum lesbar. Mikrodünne Plastikstreifen. Einzelne Fäden. Wie ein Netzwerk. Millionen davon.
»Wofür?«
Weiß nicht.
»Wurden sie bei dem Brand vernichtet?«
Nein. Schon ausgeliefert.
»Wohin?«
Ruth Kroll wartete, bis Hedda wieder umgeblättert hatte. Drei Produktionswerke.
»Was für Werke?«
Papier.
Hedda war von dieser Antwort genauso frustriert, wie die arme Frau anscheinend von der Richtung, die sie mit ihren Fragen eingeschlagen hatte. Es ergab keinen Sinn. Angenommen, die ausgelieferten Plastikstreifen waren mit TD-13 behandelt worden … weshalb hatte man sie an Papiermühlen verschickt?
»Hatte das etwas mit dem Regierungsvertrag zu tun, den PLAS-TECH erfüllte?«
Die Streifen, kritzelte die Frau.
»Inwiefern?«
Weiß nicht, schrieb sie. Wurde sogar vor uns geheimgehalten. Das Eis knirschte, als sie unter Schmerzen ihr Gewicht verlagerte.
»Wer könnte es wissen? Gibt es jemanden, mit dem ich sprechen könnte, um das Geheimnis zu erfahren?«
O'Rourke, buchstabierte die Frau.
Woher kenne ich diesen Namen? fragte Hedda sich. Dann fiel es ihr wieder ein. Sie hatte ihn in dem Zeitungsartikel gelesen, den Deerslayer ihr in Paris zugespielt hatte. Der Artikel beschäftigte sich mit dem Erwerb der PLAS-TECH durch die Briarwood Industries. O'Rourke war der einzige Angestellte der Firma gewesen, der einen Kommentar abgegeben hatte.
»Wo finde ich ihn?« fragte Hedda.
Nachdem mehrere Anrufe bei O'Rourkes Büro in Boston nichts ergeben hatten, erfuhr Hedda von der Hauptniederlassung der Briarwood Industries, daß er derzeit in seinem Ferienhaus in Stowe, Vermont, Urlaub machte. Sie fuhr nach Norden und rief in dem Ferienhaus an, als sie noch eine halbe Stunde davon
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