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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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mich?«
    »Es könnte schon … zu spät sein, um … ihn aufzuhalten.«
    »Wen?«
    Chalmers schien um Atem zu ringen. Hedda fuhr fort, bevor er ihr antworten konnte.
    »Lyle Hanleys Sohn wurde entführt, um den Mann zu zwingen, ein Gift zu entwickeln, das bei jedem Hautkontakt tödlich wirkt. Mein Gott, darum geht es! Wen auch immer Sie aufhalten wollen … er hat das Gift! Das ist es, Librarian, nicht wahr?«
    Chalmers nickte langsam.
    »Was sonst noch?«
    »Ich weiß … es nicht.«
    »Ich aber. Die Verteilung des Gifts hat irgend etwas mit der Plastikfabrik zu tun, die gestern bis auf die Grundmauern niedergebrannt ist. Ich glaube, mit dem Gift wurden Plastikstreifen behandelt, die dann zu drei Papiermühlen ausgeliefert wurden … im Zusammenhang mit einem geheimen Regierungsvertrag. Aber was stellen diese Papiermühlen her?«
    Chalmers verzog verwirrt das Gesicht. »Ich weiß es nicht … habe es nie gewußt.«
    »Aber Sie wissen, daß Millionen Menschen sterben werden, nicht wahr? Sie wissen, daß die Caretakers die ganze Zeit über in diese Sache verstrickt waren. Ich habe mit Pomeroy gesprochen, Librarian. Ich weiß, was ich bin, was wir alle waren. Aber ich weiß noch immer nicht, wer ich bin, Chalmers. Wer bin ich?«
    »Es wird Ihnen … nicht gefallen.«
    »Aber ich muß es wissen. Sie haben gesagt, Sie brauchen mich, aber ich werde Ihnen erst helfen, wenn Sie mir verraten haben, wer ich bin!«
    Chalmers musterte sie nachdenklich. Sie begriff erst, daß er wieder sprach, als sie das Krächzen aus dem Lautsprecher auf seinem Schoß hörte.
    »Nur ein Name … ist wichtig«, erklärte er mit einer seltsamen Ruhe. »Der Name … unter dem Sie … gesucht wurden.«
    »Gesucht?« Hedda hielt den Atem an, bis Chalmers fortfuhr.
    »Wegen Mordes. Man nannte Sie … Lucretia McEvil.«
    Die Erinnerungen fluteten zurück, während Bruchteile ihrer Geschichte krächzend und gurgelnd aus dem Lautsprecher drangen. Doch Hedda mußte sie nicht hören; genug kehrte von allein zurück, ausgelöst durch den Namen.
    Lucretia McEvil …
    Der Name, mit dem die Presse sie vor rund einem Dutzend Jahren belegt hatte. Lucretia nach dem historischen Vorbild, und McEvil eine Verballhornung, ja eine Steigerung des Worts ›Böse‹. Aber dieser Name stammte nicht direkt von der Presse. Es kehrte alles zurück, und sie begriff mit nacktem Entsetzen, daß August Pomeroy recht gehabt hatte: Sie wollte es in der Tat nicht wissen. Am leichtesten kann man jene Erinnerungen unterdrücken, die das Bewußtsein selbst auslöschen will. Pomeroy hatte gesagt, deshalb sei sie ein lohnendes Objekt gewesen. Sie wollte so viel unterdrücken … und sie hatte eindeutig vorgezogen, lieber zu einer anderen Person zu werden als die zu bleiben, die sie einmal war.
    Fragmente eines gebrochenen Lebens kehrten in großen Bruchstücken zu ihr zurück, die sich langsam zusammenfügten, während Chalmers mit seiner Geschichte fortfuhr. Ihr Blick wich von seinem Gesicht und konzentrierte sich auf den Lautsprecher in seinem Schoß, doch kurz darauf sah sie nur, was ihr Verstand ihr jahrelang verweigert und vorenthalten hatte. Chalmers' Worte betrafen die Ereignisse des Jahres 1979, doch auch die Fragmente ihres Lebens vor dieser Zeit kehrten zurück. Insgesamt waren sie fünf gewesen, Freunde aus den sechziger Jahren, die das Feuer dieser Zeit vermißten und sich entschlossen, es zurückzuholen. Die rohe, ungezügelte Gewalt, die man eine Zeitlang erwartet und vielleicht sogar verziehen hatte. Wo war sie geblieben? Vietnam war vorbei, und damit auch der Grund und der Sinn dahinter. Doch wer brauchte schon einen Sinn, wenn es hart auf hart ging? Eine Revolution war eine Revolution. Man brauchte keinen Grund, nur ein brennendes Verlangen.
    Hedda und die anderen nannten sich die ›Storm Riders‹, nach dem Song ›Riders on the Storm‹ der Doors. Sie wollten gemeinsam auf dem Sturm reiten, die Nation mit dessen Gewalt einfach hinwegfegen und beweisen, daß Gott vielleicht tot war, sein Zorn aber mit Sicherheit nicht. Die Gruppe erhob sich aus den Überresten der Weathermen und der militärischen Linken – Randexistenzen, die die Gesellschaft fast umgewandelt hatten, letztendlich dafür jedoch fertiggemacht worden waren.
    Sie hatten ihre Namen berühmten Liedern der Zeit entnommen, die sie gezeugt hatte. Hedda war Lucretia McEvil, nach dem Song von Blood, Sweat and Tears. Bob Calhoun war der Reaper nach dem Blue Öyster Cult. Frank Webb war Major

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