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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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Ian gegen einen Lampenpfosten; er hatte kein Gesicht mehr, und seine Gliedmaßen zuckten schrecklich. Sandman!
    Zitternd drehte sie sich zu dem Licht um.
    Und ihre Waffe ging los.
    Der empfindliche Abzug von Bobs Colt Special trug die Schuld daran; es war ein grausamer Unfall. Das Gehirn des Jungen klatschte in ihr Gesicht und riß sie um. Sie war über und über mit seinem Blut beschmiert, und ihr Leben rettete einzig die Annahme der Bullen, sie wäre erschossen worden und nicht der Junge. Erst, als die Beamten vorwärtsstürmten, erkannten sie die Wahrheit. Das Gesicht des Jungen war wundersamerweise intakt geblieben, doch der Rest seines Kopfes fehlte; er hatte sich über die benommene Lucretia McEvil verteilt.
    Die absolute Schlagzeile der Woche. Ein Prozeß, der im Brennpunkt des Interesses aller Medien stand. Ja, jetzt kam alles zurück … Sie wäre zum Tode verurteilt worden, wäre die Todesstrafe nicht erst vor kurzem höchstinstanzlich verboten worden. So jedoch wurde sie zu viermal einhundert Jahren Haft verurteilt; die einzelnen Strafen mußten nacheinander verbüßt werden, und die Möglichkeit der Berufung oder Begnadigung wurde ausdrücklich untersagt. Sie würde den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen.
    Und doch war sie nun hier, hatte überhaupt keine klaren Erinnerungen ans Zuchthaus und keine Ahnung, wie die Caretakers sie dort herausgeholt hatten, damit sie an etwas teilnehmen konnte, was Pomeroy als Renaissance bezeichnet hatte. Doch die Erinnerungen, die sie hatte, waren schmerzhaft, durchaus in einem körperlichen Sinne. Aber mit dem Schmerz kam auch eine gewisse Erleichterung. Endlich waren einige Fragen beantwortet und einige klaffende Lücken zumindest teilweise gefüllt worden.
    Die Ereignisse waren einander so ähnlich gewesen, daß Christopher Hanleys Befreiung bruchstückhafte Erinnerungen an den kleinen Baylor in ihr geweckt hatte. Sie hatte Szenen dieses letzten Schußwechsels auf der Straße gesehen, bei dem ihre Waffe losgegangen war und den Jungen getötet hatte. Doch die Blockierungen in ihrem Verstand hatten verhindert, daß sie in diesen Bildern mehr als nur einen unangenehm hartnäckigen Traum sah. Hedda vermutete, daß andere Assoziationen nun weitere Erinnerungen freisetzen würden. Die Blocks, die August Pomeroy in ihren Verstand gepflanzt hatte, lösten sich auf, wurden hinweggespült von dem wirklichen Leben, das sie vor den Caretakers geführt hatte.
    Chalmers' Worte waren in ein leises Pfeifen übergegangen. Der Mann war völlig erschöpft und brachte nicht mehr die Kraft auf, sich verständlich mitzuteilen. Hedda saß ihm dort in dem Wald gegenüber, während ihre Vergangenheit langsam verblich. Erdkrümel klebten an ihrer nassen Kleidung. Die Wärme des Mittsommertages reichte nicht aus, um das Frösteln zu verdrängen, das sie durchfuhr.
    Etwas anderes nahm in ihrem Kopf Gestalt an. Weitere Erinnerungen an diesen letzten Tag der Storm Riders, an sich selbst. Sie durchforschte ihr Gedächtnis danach, doch es wich ihr aus. Nicht August Pomeroy, sondern sie selbst blockierte diese Erinnerung. Sie wußte nur, daß diese Erinnerungen sie wie ein Messerstich in den Magen treffen würden, sollte es ihr gelingen, sie festzuhalten.
    Was war es? Woraus bestand dieses letzte Bruchstück, das sie einfach nicht fassen konnte? Konnte es bei all diesem Schmerz etwas geben, was noch schlimmer war als das, womit sie sich nun auseinandersetzen mußte?
    »Ich wurde verurteilt«, sagte sie schließlich in der Hoffnung, nicht mehr über diese Frage nachdenken zu müssen. »Zu lebenslanger Haft. Was ist passiert?«
    »Wir haben Sie … herausgeholt«, brachte Chalmers aus seinem Lautsprecher hervor. »Sie … paßten.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ins Schema. Sie … konnten töten. Sie … hatten getötet.«
    Hedda betrachtete Chalmers' Lippen, und er nickte und fuhr fort. Sie stellte sich vor, die Worte kämen aus seinem Mund, während das Gurgeln und Krächzen aus dem Lautsprecher drang.
    »Ihr alle wart … Mörder. Kein … Gewissen. Kein … Zögern. Wir … wollten es so haben … brauchten es.«
    »Die Insel«, murmelte Hedda. »Pomeroy hat eine Insel erwähnt.« Chalmers nickte. »Devil's Claw … Dorthin wurden Sie … und die anderen … gebracht. Dort wurden Sie … geboren. Dorthin müssen wir … zurückkehren.«
    »Sie und ich?«
    »Und andere.«
    »Wer?«
    »Der Rest der … Caretakers.«
    »Sie leben noch?«
    Chalmers fielen die Augen zu. Er

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