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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Land
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trotzdem zu versuchen.« Sie blieb unmittelbar vor der Tür stehen. »Wissen Sie, ich bin gestern eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung hier eingetroffen, und ich konnte es nicht erwarten, daß die Sonne aufgeht. Ich wußte, daß sich damit nichts änderte … abgesehen davon, daß ich dann weniger Angst haben würde.«
    »Das ist ganz natürlich. Die Menschen glauben allgemein, die Nacht würde dem Bösen gehören.«
    »Und stimmt das auch?«
    »Bei Tiny Tim schon.«
    Lauren Talleys große, dunkle Augen waren leer. »Warum ein Krankenhaus?«
    »Aus einer Vielzahl von Gründen, von denen allerdings noch keiner dem Schema seiner bisherigen Überfälle entspricht. Tiny Tim hat das Muster durchbrochen, Lauren, und zwar gewaltig. Man hätte ihn sehen, zumindest aber bemerken können. Wenn jemandem die Flucht aus dem Krankenhaus gelungen wäre, hätte die Welt ein paar Minuten später gewußt, was hier vor sich geht.«
    »Sie behaupten also, diesmal sei er ein Risiko eingegangen.«
    »Ein viel größeres zumindest als in Daisy und Dixon Springs. Und das bedeutet, daß er dieses Risiko aus einem bestimmten Grund auf sich genommen hat, ja, auf sich nehmen wollte, ein Grund, der hinter dem Muster selbst liegt.« Kimberlain dachte kurz nach. »Ich möchte eine Liste aller Opfer aus dem Krankenhaus und den beiden Städten haben. Ich gebe Ihnen eine Nummer, an die Sie die Liste faxen können.«
    »Glauben Sie, daß er all diese Menschen tötet, nur um an einige wenige Personen heranzukommen?«
    »Seine Opfer haben etwas gemeinsam, Lauren. Wenn wir herausfinden, was, werden wir auch Tiny Tim finden. Vielleicht führt uns das zum Ziel.«
    »Gehen wir hinein.«
    Garth Seckle lag auf dem Feld und blickte zum Himmel hinauf. Schon vor geraumer Zeit hatten Wolken die Sterne verdeckt und ihr Licht geschluckt, wie er erst gestern die Leben seiner Opfer geschluckt hatte. Seckle wußte, daß er heute nacht nicht würde schlafen können; er schlief selten in den Nächten unmittelbar nach einem seiner Besuche. Er stellte sich vor, wie die Experten sich um einen Tisch drängten und Theorien über seine Methode und Psyche zum Besten gaben. Keiner von ihnen würde jemals auf den Gedanken kommen, daß die Wurzeln seiner Arbeit in reiner Vernunft lagen. Seinem Verstand zufolge war das alles zu rechtfertigen, weil sie ihm etwas angetan hatten.
    Die anderen. Vor langer, langer Zeit.
    Er blickte zum Himmel hinauf, ohne zu blinzeln, und stellte sich die Wolken als ein scharlachrotes Tuch vor. Wenn er nur an diese Farbe dachte, zitterte er schon. Und bald würde es mehr Blut geben, viel schneller, als alle erwarteten. Die einzelnen Stücke fügten sich nun zusammen, und ihre Symmetrie war in seinen innersten Gedanken überaus angenehm.
    Es war an der Zeit, die Augen zu schließen, damit er wieder an das Krankenhaus denken, das Vergnügen auffrischen konnte, indem er seine Tat nachvollzog, solange die Erinnerung daran noch stark war. So würde sie bei ihm bleiben, bis die Erinnerung an eine andere Tat sie ersetzte.
    Er hatte seinen Lieferwagen hinter dem Gebäude abgestellt, nicht weit vom Personaleingang entfernt. Aber auf diese Weise würde er nicht hereinkommen. Nein. Um seinen geringen zeitlichen Spielraum so gut wie möglich zu nutzen, mußte er den Eingang nehmen, bei dem die Wahrscheinlichkeit, daß seine Anwesenheit bemerkt werden würde, am höchsten war. Eng an das Gebäude gedrückt, um dem Licht der Lampen vor dem Krankenhaus zu entgehen, glitt er zur Vorderfront und näherte sich dann dem einzigen Eingang, der zu so später Stunde noch geöffnet war …
    »Das ist die einzige Tür, die nach Mitternacht noch geöffnet ist«, erklärte Lauren Talley und hielt sie Kimberlain auf.
    »Ungewöhnlich bei einem Krankenhaus.«
    »Aber so wollten sie es haben. Sie hatten keine Notaufnahme, und daher konnten sie auch keine nächtlichen Einlieferungen gebrauchen.«
    Der Fährmann betrat das Gebäude und hatte den Eindruck, in die Hölle zu schreiten. In dem kleinen Empfangsraum war überall der Staub zu sehen, mit dem glatte Oberflächen eingepinselt worden waren, um von ihnen Fingerabdrücke abnehmen zu können. Kimberlain sah diesen feinen Staub am Empfangspult, den Schaltern, den Wänden und an einigen Stellen auch auf dem Boden, wo er große Fußabdrücke markierte.
    Lauren Talley zog ihren Notizblock hervor und schlug ihn auf. Kimberlain warf einen Blick darauf und stellte fest, daß zahlreiche Seiten mit einer kleinen, kaum leserlichen

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