Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
durch all das Schweigen der Jahre, die uns getrennt hatten.
So passierte es. Ich erlag der Schmeichelei eines Mannes, der nicht da war, und in diesem Moment der Schwäche sagte ich ja. Ich würde die Arbeiten gern lesen, sagte ich, und tun, was ich könne, um zu helfen. Sophie lächelte – ob vor Glück oder Enttäuschung konnte ich nicht sagen –, und dann stand sie auf und brachte das Baby ins nächste Zimmer. Sie blieb vor einem großen Schrank aus Eichenholz stehen und klinkte die Tür auf. «Da haben Sie alles», sagte sie. Die Fächer waren vollgestopft mit Schachteln und Mappen und Ordnern und Notizbüchern – mit mehr Papieren, als ich es für möglich gehalten hatte. Ich erinnere mich, dass ich verlegen lachte und einen schwachen Scherz machte. Dann sprachen wir ganz sachlich darüber, wie ich die Manuskripte am besten aus der Wohnung schaffte, und entschieden uns schließlich für zwei große Koffer. Wir brauchten fast eine ganze Stunde, aber zuletzt gelang es uns, alles hineinzuquetschen. Natürlich werde es eine ganze Weile dauern, das Material zu sichten, sagte ich. Sophie meinte, ich solle mir darüber keine Gedanken machen, und dann entschuldigte sie sich dafür, dass sie mir eine solche Arbeit aufbürdete. Ich sagte, ich verstünde das, sie könne sich nicht weigern, Fanshawes Bitte zu erfüllen. Es war alles sehr dramatisch und zugleich schauerlich und beinahe komisch. Die schöne Sophie setzte das Baby sanft auf den Boden, umarmte mich aus Dankbarkeit und küsste mich auf die Wange. Einen Augenblick dachte ich, sie würde gleich weinen, aber der Augenblick ging vorüber, und es gab keine Tränen. Dann schleppte ich die beiden Koffer langsam die Treppen hinunter und auf die Straße hinaus. Zusammen waren sie so schwer wie ein Mann.
Zweites Kapitel
D ie Wahrheit ist weit weniger einfach, als ich es gern hätte. Dass ich Fanshawe liebte, dass er mein engster Freund war, dass ich ihn besser kannte als sonst jemanden – das sind Tatsachen, und nichts, was ich sage, kann sie jemals abschwächen. Aber das ist nur ein Anfang, und in meinem Bemühen, mich an die Dinge zu erinnern, wie sie wirklich waren, erkenne ich jetzt, dass ich mich von Fanshawe zurückhielt, dass ein Teil von mir sich gegen ihn auflehnte. Besonders als wir älter wurden, glaube ich, fühlte ich mich in seiner Gegenwart nie ganz wohl. Wenn Neid ein zu starkes Wort für das ist, was ich zu beschreiben versuche, dann würde ich es Argwohn nennen, ein unterschwelliges Gefühl, dass Fanshawe irgendwie besser war als ich. All das war mir damals nicht bewusst, und es gab nie einen besonderen Anlass, auf den ich hinweisen könnte. Und doch setzte sich das Gefühl in mir fest, dass er von Natur aus ein besserer Mensch war als andere, dass ihn ein unauslöschliches Feuer lebendig erhielt, dass er mehr er selbst war, als ich es je hoffen durfte zu sein.
Schon früh war sein Einfluss sehr deutlich, sogar in Bezug auf ganz kleine Dinge. Wenn Fanshawe seine Gürtelschnalle auf der Seite trug, drehte ich meinen Gürtel ebenfalls auf die Seite. Wenn Fanshawe in schwarzen Turnschuhen auf den Spielplatz kam, bat ich auch um schwarze Turnschuhe, als meine Mutter das nächste Mal mit mir ins Schuhgeschäft ging. Wenn Fanshawe ein Exemplar von Robinson Crusoe mit in die Schule brachte, begann ich noch am selben Abend zu Hause Robinson Crusoe zu lesen. Ich war nicht der Einzige, der sich so benahm, aber ich war vielleicht der Ergebenste, derjenige, der am willigsten der Macht nachgab, die er über uns hatte. Fanshawe selbst war sich dieser Macht nicht bewusst, und das war zweifellos der Grund dafür, dass er sie behielt. Die Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wurde, war ihm nicht wichtig. Er ging ruhig seiner Wege und nutzte seinen Einfluss nie aus. Er machte nicht bei den Streichen mit, die wir anderen spielten, er stellte nie etwas an, er bekam keine Schwierigkeiten mit den Lehrern. Aber niemand warf ihm das vor. Fanshawe stand abseits, und doch war er es, der uns zusammenhielt, an den wir uns wandten, damit er unsere Auseinandersetzungen schlichtete, von dem wir erwarten konnten, dass er gerecht war und unseren nichtigen Streitigkeiten ein Ende setzte. Er hatte etwas so Anziehendes, dass man ihn immer an der Seite haben wollte, so als könnte man innerhalb seiner Sphäre leben und von dem berührt werden, was er war. Er war für einen da, und zugleich war er unzugänglich. Man fühlte, dass es einen geheimen Kern in ihm gab, in den man nie
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