Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
konnte.
Rückblickend finde ich es natürlich, dass Fanshawe Schriftsteller wurde. Die Strenge seiner Innerlichkeit schien es beinahe zu fordern. Schon in der Mittelschule schrieb er kleine Geschichten, und ich denke, dass es, seit er zehn oder elf Jahre alt war, nie eine Zeit gab, in der er sich nicht als Schriftsteller sah. Anfangs schien es nicht viel zu bedeuten. Poe und Stevenson waren seine Vorbilder, und was dabei herauskam, war die übliche kindliche Effekthascherei. «Eines Abends, im Jahre unseres Herrn siebzehnhundertundeinundfünfzig, ging ich durch einen mörderischen Blizzard zum Hause meiner Ahnen, als ich auf eine geisterhafte Gestalt im Schnee stieß.» In diesem Stil, mit überladenen Sätzen und ausgefallenen Handlungen. In der sechsten Klasse, erinnere ich mich, schrieb Fanshawe einen kurzen Detektivroman von etwa fünfzig Seiten, den ihn der Lehrer jeden Tag nach dem Ende des Unterrichts in Raten von zehn Minuten der Klasse vorlesen ließ. Wir waren alle stolz auf Fanshawe und überrascht über die dramatische Art, wie er las und die Rolle jeder der Figuren spielte. Die Geschichte ist mir entfallen, aber ich weiß noch, dass sie unendlich kompliziert war und dass der Ausgang etwas mit den verwechselten Identitäten zweier Zwillingspaare zu tun hatte.
Fanshawe war jedoch kein Bücherwurm. Dafür war er zu gut im Sport, und er stand zu sehr im Mittelpunkt, um sich ganz in sich selbst zurückzuziehen. In all diesen frühen Jahren hatte man den Eindruck, dass es nichts gab, was er nicht gut machte, nichts, was er nicht besser machte als alle anderen. Er war der beste Baseballspieler, der beste Schüler und der bestaussehende Junge. Jedes für sich allein würde genügt haben, um ihm eine besondere Stellung zu sichern – aber alles zusammen ließ ihn als Held erscheinen, als ein Kind, das von den Göttern geliebt wurde. Aber so ungewöhnlich er war, er blieb einer von uns. Fanshawe war kein kleines Genie oder Wunderkind; er hatte keine wunderbare Begabung, die ihn von den Kindern seines Alters unterschieden hätte. Er war ein vollkommen normales Kind – aber normaler, wenn das möglich ist, mehr in Harmonie mit sich selbst, auf idealere Weise ein normales Kind als wir anderen.
Eigentlich war der Fanshawe, den ich kannte, nicht verwegen. Trotzdem schockierte er mich manchmal damit, dass er sich bereitwillig gefährlichen Situationen stellte. Hinter all der äußerlichen Gelassenheit schien es eine starke dunkle Seite zu geben: einen Drang, sich selbst auf die Probe zu stellen, Gefahren auf sich zu nehmen. Als Junge spielte er leidenschaftlich gern auf Baustellen, er kletterte auf Leitern und Gerüste, balancierte auf Planken über einen Abgrund von Maschinen, Sandsäcken und Schlamm. Ich hielt mich im Hintergrund zurück, während Fanshawe diese Kunststücke vollführte, flehte ihn im Stillen an aufzuhören, sagte aber nie etwas – ich wollte weggehen, wagte es aber nicht aus Furcht, dass er abstürzen könnte. Mit der Zeit kam dieser Trieb noch klarer zum Ausdruck. Fanshawe sprach zu mir von der Notwendigkeit, «das Leben zu schmecken». Sich die Dinge schwer machen, sagte er, das Unbekannte erkunden – das war es, was er wollte, immer mehr, je älter er wurde. Einmal, als wir ungefähr fünfzehn waren, überredete er mich dazu, mit ihm das Wochenende in New York zu verbringen – wir streiften durch die Straßen, schliefen auf einer Bank in der alten Penn Station, sprachen mit Stadtstreichern, wollten sehen, wie lange wir, ohne zu essen, auskommen würden. Ich erinnere mich, dass ich am Sonntagmorgen um sieben Uhr im Central Park betrunken war und ins Gras kotzte. Für Fanshawe war das ein wichtiges Unternehmen – ein weiterer Schritt der Selbsterprobung –, aber für mich war es nur ein schmutziges, jämmerliches Ausgleiten in etwas, was ich nicht war. Dennoch folgte ich ihm weiter, ein benebelter Zeuge, der an der Suche teilnahm und doch nicht ganz Teil davon war, ein junger Sancho auf seinem Esel, der zusah, wie sein Freund mit sich selbst kämpfte.
Ein oder zwei Monate nach diesem Wochenende als Landstreicher nahm mich Fanshawe in ein Bordell in New York mit (ein Freund von ihm hatte den Besuch arrangiert), und dort verloren wir unsere Unschuld. Ich erinnere mich an eine kleine Wohnung in einem Haus aus braunem Sandstein auf der Upper West Side in der Nähe des Flusses – eine kleine Küche und ein dunkles Schlafzimmer mit einem dünnen Vorhang zwischen den beiden Räumen. Zwei
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