Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
es sei gut und großzügig, das zu tun, aber es sei auch falsch. Das Geschenk habe sie Geld gekostet, und indem er es hergegeben habe, habe Fanshawe dieses Geld in einem gewissen Sinne ihr gestohlen. Darüber hinaus habe Fanshawe sich unhöflich benommen, weil er ohne Geschenk erschienen sei – was ein schlechtes Licht auf sie werfe, da sie für seine Handlungen verantwortlich sei. Fanshawe hörte seiner Mutter aufmerksam zu und sagte kein Wort. Als sie fertig war, sprach er noch immer nicht, und sie fragte ihn, ob er sie verstanden habe. Ja, sagte er, er habe sie verstanden. Damit wäre die Sache wahrscheinlich erledigt gewesen, aber dann, nach einer kurzen Pause, sagte Fanshawe, er denke immer noch, dass er recht habe. Es sei ihm gleichgültig, was sie davon halte: er würde dasselbe das nächste Mal wieder tun. Auf diesen kleinen Wortwechsel folgte eine Szene. Mrs. Fanshawe war wütend über seine Frechheit, aber Fanshawe blieb standhaft und weigerte sich, unter dem Hagel ihrer Vorwürfe nachzugeben. Zuletzt wurde er auf sein Zimmer geschickt, und mir befahl man, das Haus zu verlassen. Ich war entsetzt über die Ungerechtigkeit seiner Mutter, aber als ich etwas zu seiner Verteidigung zu sagen versuchte, winkte Fanshawe ab. Anstatt weiter zu protestieren, nahm er seine Strafe lieber schweigend hin und verschwand in seinem Zimmer.
Die ganze Episode war typisch für Fanshawe: der spontane Akt der Güte, der unerschütterliche Glaube an das, was er getan hatte, und die stumme, beinahe passive Hinnahme der Folgen. So bemerkenswert sein Verhalten auch sein mochte, man hatte immer das Gefühl, dass er davon losgelöst war. Mehr als alles andere war es diese Eigenschaft, die mich manchmal vor ihm zurückschrecken ließ. Ich kam Fanshawe oft so nahe, ich bewunderte ihn so heftig, ich wünschte so verzweifelt, an ihn heranzureichen – und dann kam plötzlich ein Moment, in dem ich erkannte, dass er mir fremd war, dass die Art, wie er innerlich lebte, nie der Art entsprechen konnte, wie ich lebte. Ich wollte zu viel von den Dingen, ich hatte zu viele Sehnsüchte, ich lebte zu sehr im Banne des Augenblicks, um je einen solchen Gleichmut zu erreichen. Mir kam es darauf an, meine Sache gut zu machen, andere Menschen mit den leeren Zeichen meines Ehrgeizes zu beeindrucken: gute Noten, Preise und Auszeichnungen für alles, wofür man uns in dieser oder jener Woche gerade beurteilte. Fanshawe hielt sich von alldem fern, er stand ruhig in seiner Ecke und achtete nicht darauf. Wenn er gut war, so war er es immer trotz seiner selbst, ohne Kampf, ohne Anstrengung, ohne Anteilnahme an dem, was er getan hatte. Diese Haltung konnte entnervend sein, und ich brauchte lange, um zu lernen, dass das, was gut für Fanshawe war, nicht notwendigerweise auch gut für mich war.
Ich will jedoch nicht übertreiben. Wenn Fanshawe und ich auch gelegentlich unsere Differenzen hatten, so ist das, woran ich mich aus unserer Kindheit am meisten erinnere, die Leidenschaft unserer Freundschaft. Wir wohnten nebeneinander, und unsere nicht eingezäunten Gärten hinter den Häusern gingen in eine einzige große Fläche von Wiese, Kies und Erde über, so als gehörte alles zum selben Haushalt. Unsere Mütter waren eng befreundet, unsere Väter waren Tennispartner, keiner von uns hatte einen Bruder: ideale Bedingungen daher, nichts stand zwischen uns. Wir wurden im Abstand von weniger als einer Woche geboren und verbrachten unsere Babyzeit zusammen im Garten, erkundeten das Gras auf allen vieren, zerrupften die Blumen und standen am selben Tag auf und machten unsere ersten Schritte. (Es gibt Fotografien, die das bezeugen.) Später lernten wir zusammen im Garten Baseball und Fußball. Wir bauten unsere Festungen, spielten unsere Spiele, erfanden unsere Welt im Garten, und später kamen unsere Streifzüge durch die Stadt, die langen Nachmittage auf unseren Fahrrädern, die endlosen Gespräche. Ich glaube, niemanden so gut zu kennen, wie ich damals Fanshawe kannte. Meine Mutter erinnert sich, dass wir so aneinander hingen, dass wir sie einmal, als wir sechs Jahre alt waren, fragten, ob Männer einander heiraten können. Wir wollten zusammenleben, wenn wir erwachsen sein würden, und wer tat das außer Ehepaaren? Fanshawe wollte Astronom werden und ich Tierarzt. Wir dachten an ein großes Haus auf dem Lande – an einen Ort, wo der Himmel nachts so dunkel war, dass man alle Sterne sehen konnte, und wo es keinen Mangel an Tieren gab, derer man sich annehmen
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