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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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finanzielle Not großziehen zu können. Natürlich lief dann alles schief, und Fanshawes Arbeit war bald vergessen, untergegangen in dem Aufruhr nach seinem Verschwinden. Später, als sich der Staub zu legen begann, sträubte sie sich dagegen, seine Anweisungen auszuführen – aus Angst, damit jede Chance, ihn wiederzusehen, zu vertun. Aber schließlich gab sie nach, sie wusste, dass Fanshawes Wort respektiert werden musste. Deshalb schrieb sie mir. Deshalb saß ich nun bei ihr.
    Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Der Vorschlag war zu unerwartet gekommen, und ein oder zwei Minuten saß ich einfach da und rang mit der Ungeheuerlichkeit dessen, was mir da aufgedrängt worden war. Soviel ich sagen konnte, hatte es für Fanshawe keinen erfindlichen Grund gegeben, mich für diese Aufgabe auszuwählen. Ich hatte ihn mehr als zehn Jahre lang nicht gesehen, und ich war beinahe überrascht zu erfahren, dass er sich noch erinnerte, wer ich war. Wie konnte man von mir erwarten, dass ich eine solche Verantwortung übernahm – dass ich über einen Mann urteilte und sagte, ob sein Leben lebenswert gewesen war? Sophie versuchte zu erklären. Fanshawe hatte zwar keine Verbindung mit mir gehabt, aber er hatte mit ihr oft über mich gesprochen, und jedes Mal, wenn mein Name erwähnt worden war, hatte er mich als seinen besten Freund auf der Welt beschrieben – den einzigen wahren Freund, den er je gehabt hatte. Er hatte sich über meine Arbeit auf dem Laufenden gehalten und immer die Zeitschriften gekauft, in denen meine Artikel erschienen, und manchmal hatte er sie ihr sogar vorgelesen. Er habe meine Arbeit bewundert, sagte Sophie; er sei stolz auf mich gewesen, und er habe das Gefühl gehabt, dass ich imstande sei, etwas Großes zu leisten.
    All dieses Lob machte mich verlegen. In Sophies Stimme lag so viel Nachdruck, dass ich irgendwie den Eindruck hatte, Fanshawe selbst spräche durch sie, sagte mir all das mit seinen eigenen Lippen. Ich gebe zu, dass ich geschmeichelt war, und das war unter diesen Umständen zweifellos eine natürliche Empfindung. Ich lebte damals gerade eine schwere Zeit durch und war nicht sehr überzeugt von mir. Ich hatte zwar sehr viele Artikel geschrieben, aber ich sah darin keinen Grund zum Feiern und war auch nicht besonders stolz darauf. In meinen Augen war das kaum mehr als Lohnschreiberei. Ich hatte mit großen Hoffnungen begonnen und gedacht, dass ich ein Romanschriftsteller werden würde, ich hatte gedacht, dass ich eines Tages etwas schreiben würde, was die Menschen bewegt und ihr Leben verändert. Aber nach einiger Zeit hatte ich nach und nach erkannt, dass es nicht dazu kommen würde. Ich hatte kein solches Buch in mir, und irgendwann hatte ich mir gesagt, dass ich meine Träume aufgeben müsse. Es war auf jeden Fall einfacher, weiter Artikel zu schreiben. Durch harte Arbeit, indem ich stetig von einem Artikel zum nächsten weiterging, konnte ich mir mehr oder weniger meinen Lebensunterhalt verdienen – und was immer es wert war, ich hatte das Vergnügen, meinen Namen beinahe ständig gedruckt zu sehen. Ich hatte begriffen, dass die Lage weit trostloser hätte sein können, als sie es war. Ich war noch nicht ganz dreißig und genoss schon einen gewissen Ruf. Ich hatte mit Besprechungen von Lyrik und Romanen begonnen, und nun konnte ich über beinahe alles schreiben und etwas Anerkennenswertes leisten. Filme, Theaterstücke, Kunstausstellungen, Konzerte, Bücher, sogar Baseballspiele – man brauchte es nur von mir zu verlangen, und ich tat es. Man sah in mir einen begabten jungen Mann, einen neuen aufstrebenden Kritiker, aber innerlich fühlte ich mich alt, schon verbraucht. Was ich bisher getan hatte, war ein Bruchteil von gar nichts. Es war alles nur Sand, und der leiseste Wind würde ihn fortwehen.
    Fanshawes Lob löste daher gemischte Gefühle in mir aus. Einerseits wusste ich, dass er sich irrte. Andererseits (und hier wird es trübe) wollte ich glauben, dass er recht hatte. Ich dachte: Ist es möglich, dass ich mir gegenüber zu hart war? Und sobald ich das zu denken begann, war ich verloren. Aber wer würde nicht die Chance ergreifen, sich selbst zu erlösen – welcher Mann ist stark genug, um die Möglichkeit der Hoffnung zurückzuweisen? Der Gedanke flackerte in mir auf, dass ich eines Tages in meinen eigenen Augen wieder zum Leben erweckt werden könnte, und ich fühlte eine plötzliche Anwandlung von freundschaftlichen Gefühlen für Fanshawe, über die Jahre hinweg,

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