Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
verschwand). Alles in allem fand ich über hundert Gedichte, drei Romane (zwei kurze und einen langen) und fünf Einakter – dazu dreizehn Notizbücher mit Entwürfen zu Theaterstücken, Skizzen, Notizen, Bemerkungen über die Bücher, die Fanshawe gelesen hatte, und Ideen für künftige Projekte. Es gab keine Briefe, keine Tagebücher, keine Einblicke in Fanshawes Privatleben. Aber das hatte ich erwartet. Ein Mann verbringt seine Zeit nicht damit, sich vor der Welt zu verbergen, ohne seine Spuren zu verwischen. Immerhin hatte ich gedacht, dass es irgendwo in den Papieren einen Hinweis auf mich geben würde – und wenn es nur ein Brief mit Anweisungen wäre oder eine Eintragung in einem Notizbuch, die mich als seinen literarischen Testamentsvollstrecker nannte. Aber es gab nichts dergleichen. Fanshawe hatte mich völlig mir selbst überlassen.
Ich rief Sophie an und verabredete mich mit ihr für den folgenden Abend zum Essen. Da ich ein elegantes französisches Restaurant vorschlug (das bei weitem überstieg, was ich mir leisten konnte), denke ich, dass sie meine Reaktion auf Fanshawes Arbeit erraten konnte. Aber abgesehen von diesem Hinweis auf eine Feier sagte ich so wenig wie möglich. Ich wollte, dass alles in seinem eigenen Tempo fortschritt – keine voreiligen Schritte, keine verfrühten Gesten. Ich war mir schon sicher in Bezug auf Fanshawes Arbeit, aber ich fürchtete, mit Sophie etwas zu überstürzen. Zu viel hing davon ab, wie ich mich verhielt, zu viel konnte durch einen Fehler zu Beginn zerstört werden. Sophie und ich waren nun miteinander verbunden, ob sie es wusste oder nicht – und wenn nur in dem Maße, in dem wir Partner bei der Förderung von Fanshawes Werk sein würden. Aber ich wollte mehr als das, und ich wollte, dass es auch Sophie wollte. Gegen meine Ungeduld ankämpfend, mahnte ich mich zur Vorsicht, sagte ich mir, dass ich vorausdenken musste.
Sie trug ein schwarzes Seidenkleid und winzige silberne Ohrringe, und sie hatte das Haar zurückgekämmt, um die Linie ihres Halses zu zeigen. Als sie das Restaurant betrat und mich an der Bar sitzen sah, schenkte sie mir ein warmes, komplizenhaftes Lächeln, so als wollte sie mir sagen, dass sie wusste, wie schön sie war, und als wollte sie zugleich aber auch das Unheimliche des Anlasses kommentieren. Irgendwie genoss sie die Situation, offensichtlich empfänglich für die seltsamen Begleiterscheinungen des Augenblicks. Ich sagte ihr, dass sie hinreißend aussehe, und sie antwortete beinahe launenhaft, dass sie das erste Mal seit Bens Geburt ausgehe – und dass sie «anders aussehen» wolle. Danach wurde ich sachlich und versuchte mich zurückzuhalten. Als wir zu unserem Tisch geführt wurden und unsere Plätze zugewiesen bekamen (weißes Tischtuch, schweres Tafelsilber, eine rote Tulpe in einer schlanken Vase zwischen uns), antwortete ich auf ihr zweites Lächeln, indem ich über Fanshawe sprach.
Nichts, was ich sagte, schien sie zu überraschen. Es war eine bekannte Neuigkeit für sie, eine Tatsache, auf die sie sich schon eingestellt hatte, und was ich ihr sagte, bestätigte ihr nur, was sie schon die ganze Zeit gewusst hatte. Seltsamerweise schien es sie nicht zu erregen. Ihre Haltung drückte eine Vorsicht aus, die mich verwirrte, und einige Minuten lang war ich verloren. Dann begann ich langsam zu verstehen, dass ihre Gefühle nicht sehr viel anders waren als meine. Fanshawe war aus ihrem Leben verschwunden, und ich sah, dass sie gute Gründe haben konnte, die Bürde abzulehnen, die ihr auferlegt worden war. Dadurch, dass sie Fanshawes Werk veröffentlichte und sich einem Mann widmete, der nicht mehr da war, würde sie gezwungen sein, in der Vergangenheit zu leben, und jede Zukunft, die sie sich aufbauen wollte, würde beeinträchtigt werden durch die Rolle, die sie zu spielen hatte: die offizielle Witwe, die Muse des toten Schriftstellers, die schöne Heldin in einer tragischen Geschichte. Niemand will Teil einer Fiktion sein, umso weniger, wenn diese Fiktion Wirklichkeit ist. Sophie war gerade sechsundzwanzig Jahre alt. Sie war zu jung, um durch einen anderen zu leben, zu intelligent, um sich nicht ein Leben zu wünschen, das ganz ihr eigenes war. Die Tatsache, dass sie Fanshawe geliebt hatte, spielte dabei keine Rolle. Fanshawe war tot, und es war Zeit für sie, ihn hinter sich zu lassen.
Nichts davon wurde ausgesprochen. Aber das Gefühl war da, und es wäre sinnlos gewesen, es zu ignorieren. In Anbetracht meiner eigenen
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