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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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ein Chaos von Schnee, das auf mich herabstürzte.
    Als wir zum Wagen zurückgingen, war die Sonne schon untergegangen. Wir stolperten über den Friedhof und sprachen nicht miteinander. Mehrere Zentimeter Schnee waren gefallen, und es schneite immer mehr, so als wollte es nie aufhören. Wir erreichten den Wagen, stiegen ein und mussten feststellen, dass wir nicht losfahren konnten, weil die Hinterräder in einem flachen Graben festsaßen, und nichts, was wir unternahmen, änderte etwas daran. Wir schoben und stießen, und immer noch drehten die Hinterräder mit einem scheußlichen Geräusch durch. Eine halbe Stunde verging, dann gaben wir es auf und beschlossen widerwillig, den Wagen stehen zu lassen. Wir fuhren in dem Sturm per Anhalter nach Hause, und zwei weitere Stunden vergingen, bis wir endlich ankamen. Erst dann erfuhren wir, dass Fanshawes Vater im Laufe des Nachmittags gestorben war.

Drittes Kapitel
    M ehrere Tage vergingen, bevor ich den Mut fand, die Koffer zu öffnen. Ich schrieb den Artikel zu Ende, an dem ich gerade arbeitete, ich ging ins Kino, ich nahm Einladungen an, die ich normalerweise abgelehnt hätte. Diese Taktiken täuschten mich jedoch nicht. Zu viel hing von meiner Reaktion ab, und die Möglichkeit, enttäuscht zu werden, war etwas, dem ich mich nicht aussetzen mochte. Den Auftrag zu geben, Fanshawes Arbeit zu vernichten oder ihn mit meinen eigenen Händen zu töten, war für mich ein und dasselbe. Man hatte mir die Macht gegeben, einen Menschen auszulöschen, eine Leiche aus ihrem Grab zu stehlen und in Stücke zu zerreißen. Ich war in einer unerträglichen Lage und wollte mit all dem nichts zu tun haben. Solange ich die Koffer unberührt ließ, wurde mein Gewissen geschont. Andererseits hatte ich ein Versprechen gegeben, und ich wusste, dass ich nicht ewig zögern konnte. Gerade in dem Moment, als ich mich aufraffte, mich darauf vorbereitete, es zu tun, ergriff mich eine neue Angst. Wenn ich nicht wollte, dass Fanshawes Arbeit schlecht war, so wollte ich auch nicht, dass sie gut war. Dieses Gefühl kann ich nur schwer erklären. Alte Rivalitäten hatten zweifellos etwas damit zu tun und der Wunsch, nicht durch Fanshawes brillanten Geist gedemütigt zu werden – aber ich glaubte auch, in eine Falle gegangen zu sein. Ich hatte mein Wort gegeben. Sobald ich die Koffer öffnete, wurde ich Fanshawes Sprecher – und musste weiter für ihn sprechen, ob ich wollte oder nicht. Beide Möglichkeiten erschreckten mich. Ein Todesurteil zu fällen, war schlimm genug, aber für einen Toten zu arbeiten, schien kaum besser zu sein. Mehrere Tage lang schwankte ich zwischen diesen Ängsten hin und her. Schließlich öffnete ich natürlich die Koffer. Aber das hatte wahrscheinlich weniger mit Fanshawe als mit Sophie zu tun. Ich wollte sie wiedersehen, und je rascher ich mich an die Arbeit machte, desto eher hatte ich einen Grund, sie anzurufen.
    Ich habe nicht vor, hier ins Einzelne zu gehen. Jeder kennt heute Fanshawes Werk. Es ist gelesen und diskutiert worden, man hat darüber Artikel und Studien geschrieben, es ist zum öffentlichen Eigentum geworden. Wenn es etwas zu sagen gibt, so ist es nur das, dass ich nicht mehr als ein oder zwei Stunden brauchte, um zu begreifen, dass meine Gefühle völlig fehl am Platze waren. Sich für Sprache zu begeistern, ein Interesse an Geschriebenem zu haben, an die Macht von Büchern zu glauben – das ist stärker als alles andere, und daneben wird das eigene Leben sehr unbedeutend. Ich sage das nicht, um mich selbst zu beglückwünschen oder um meine Tat in ein besseres Licht zu stellen. Ich war der Erste, aber darüber hinaus sehe ich nichts, was mich von anderen unterscheidet. Wäre Fanshawes Werk weniger gewesen, als es war, dann wäre auch meine Rolle eine andere gewesen – wichtiger vielleicht, entscheidender für den Ausgang der Geschichte. Aber so, wie es war, war ich nicht mehr als ein unsichtbares Werkzeug. Etwas war geschehen, und wenn ich es nicht abstritt, wenn ich nicht vorgab, die Koffer nicht geöffnet zu haben, würde es weitergeschehen, niederschlagen, was ihm im Wege stand, und sich mit eigener Triebkraft bewegen.
    Ich brauchte ungefähr eine Woche, um das Material zu systematisieren, fertige Arbeiten von Entwürfen zu trennen, die Manuskripte in eine einigermaßen chronologische Ordnung zu bringen. Der früheste Text war ein Gedicht aus dem Jahre 1963 (als Fanshawe sechzehn war), und der letzte war 1976 geschrieben worden (einen Monat bevor er

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