Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
ständig, gab vor, das Baby zu bewundern, machte Sophie nicht sehr passende Komplimente und sagte, was für eine glückliche Frau sie doch sei, und dann ging sie schon früh wieder. Sie stand immer mitten in einem Gespräch auf und platzte mit der Erklärung heraus, sie habe eine Verabredung anderswo vergessen. Doch man konnte es ihr nur schwer übelnehmen. Nichts war sehr gut gelaufen in ihrem Leben, und nun hatte sie mehr oder weniger die Hoffnung aufgegeben, dass es je besser werden könnte. Ihr Mann war tot; ihre Tochter hatte mehrere seelische Zusammenbrüche erlitten, stand unter Tabletten und lebte in einem Sanatorium; ihr Sohn war verschwunden. Immer noch schön mit fünfzig (früher war sie für mich die hinreißendste Frau, die ich je gesehen hatte), hielt sie sich bei Laune mit verworrenen Liebesaffären (die Liste der Männer wechselte ständig), mit Einkaufsbummeln in New York und mit einer Leidenschaft für Golf. Fanshawes literarischer Erfolg hatte sie überrascht, aber nun, da sie sich an ihn gewöhnt hatte, war sie durchaus bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, ein Genie geboren zu haben. Als ich sie anrief und ihr von der Biographie erzählte, gab sie sich sehr hilfsbereit. Sie habe Briefe und Fotografien und Dokumente, sagte sie, und sie würde mir alles zeigen, was ich zu sehen wünsche.
Wir kamen am späteren Vormittag an, und nach einer verlegenen Begrüßung, auf die eine Tasse Kaffee in der Küche und ein langes Gespräch über das Wetter folgten, wurden wir in Fanshawes altes Zimmer hinaufgeführt. Mrs. Fanshawe hatte alles sehr gründlich für mich vorbereitet, und das ganze Material lag in säuberlichen Stapeln auf Fanshawes ehemaligem Schreibtisch. Ich war verblüfft. Da ich nicht wusste, was ich sagen sollte, dankte ich ihr für ihre Hilfsbereitschaft – aber tatsächlich war ich erschrocken, überwältigt von der Menge. Einige Minuten später ging Mrs. Fanshawe mit Sophie und Ben nach unten und in den Garten hinaus (es war ein warmer, sonniger Tag), und ich wurde allein zurückgelassen. Ich erinnere mich, dass ich aus dem Fenster blickte und Ben sah, wie er in seinem mit Windeln ausgestopften Overall über das Gras watschelte, schrie und mit dem Finger zeigte, als ein Rotkehlchen über ihn hinwegflog. Ich klopfte an die Scheibe, und als sich Sophie umdrehte und heraufsah, winkte ich ihr. Sie lächelte, warf mir eine Kusshand zu und ging dann weiter, um mit Mrs. Fanshawe ein Blumenbeet zu betrachten.
Ich setzte mich an den Schreibtisch. Es war schrecklich, in diesem Zimmer zu sitzen, und ich wusste nicht, wie lange ich es aushalten würde. Fanshawes Baseballhandschuh und ein abgenutzter Ball lagen in einem Regal. In den Fächern darüber und darunter standen die Bücher, die er als Kind gelesen hatte. Direkt hinter mir stand das Bett mit der blau-weiß karierten Steppdecke, an die ich mich noch erinnerte. Dies waren die greifbaren Beweisstücke, die Überreste einer toten Welt. Ich war in das Museum meiner eigenen Vergangenheit getreten, und was ich dort fand, erdrückte mich fast.
In einem Stapel: Fanshawes Geburtsurkunde, Fanshawes Schulzeugnisse, Fanshawes Jungpfadfinder-Abzeichen, Fanshawes High-School-Diplom. In einem anderen Stapel: Fotografien. Ein Album von Fanshawe als Baby; ein Album von Fanshawe und seiner Schwester; ein Familienalbum (Fanshawe als Zweijähriger, lachend in den Armen seines Vaters, Fanshawe und Ellen, die ihre Mutter auf der Gartenschaukel umarmen, Fanshawe mit seinen Cousins). Und dann die losen Bilder, in Mappen, in Umschlägen, in kleinen Schachteln: Dutzende von Fanshawe und mir (beim Schwimmen, Fangenspielen, Radfahren, Grimassenschneiden im Garten; mein Vater mit uns beiden auf dem Rücken; der kurze Haarschnitt, die ausgebeulten Jeans, die alten Autos hinter uns: ein Packard, ein DeSoto, ein Ford-Kombi mit Holzverkleidung). Bilder von der Klasse, von der Mannschaft, vom Lager. In einem Kanu sitzend, beim Tauziehen. Und dann, weiter unten, einige aus späteren Jahren: Fanshawe, wie ich ihn nie gesehen hatte. Fanshawe auf dem Gelände von Harvard; Fanshawe auf dem Deck eines Esso-Öltankers; Fanshawe in Paris vor einem steinernen Brunnen. Als Letztes ein einziges Bild von Fanshawe und Sophie – Fanshawe sah älter, grimmiger aus und Sophie so schrecklich jung, so schön, und doch irgendwie zerstreut, so als wäre sie nicht imstande, sich zu konzentrieren. Ich atmete tief ein, und dann fing ich plötzlich an zu weinen. Bis zum letzten
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