Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Moment war mir nicht bewusst gewesen, dass ich diese Tränen in mir hatte – ich schluchzte laut, und es schüttelte mich, und ich schlug die Hände vors Gesicht.
Eine Schachtel rechts von den Bildern war mit Briefen gefüllt, mit mindestens hundert Briefen. Die ersten hatte Fanshawe im Alter von acht Jahren geschrieben (die unbeholfene Schrift eines Kindes, verschmierte Bleistiftstriche und radierte Stellen), die letzten in den frühen siebziger Jahren. Ich fand Briefe vom College, Briefe vom Schiff, Briefe aus Frankreich. Die meisten waren an Ellen adressiert, und viele waren sehr lang. Ich wusste, dass sie wertvoll waren, zweifellos wertvoller als alles andere im Zimmer – aber ich brachte es nicht über mich, sie dort zu lesen. Ich wartete zehn oder fünfzehn Minuten, dann ging ich zu den anderen hinunter.
Mrs. Fanshawe wollte nicht die Originale aus dem Haus geben, aber sie hatte nichts dagegen, die Briefe fotokopieren zu lassen. Sie bot an, es selbst zu erledigen, aber ich sagte ihr, sie solle sich keine Mühe machen; ich würde ein andermal wiederkommen und mich der Sache annehmen.
Zu Mittag machten wir ein Picknick im Garten. Ben beherrschte die Szene, indem er nach jedem Bissen von seinem Sandwich zu den Blumen und wieder zurücklief. Um zwei Uhr wollten wir nach Hause zurückkehren. Mrs. Fanshawe fuhr uns zur Bushaltestelle und küsste uns alle drei zum Abschied. Sie zeigte mehr Gefühl als während unseres ganzen Besuches. Fünf Minuten nachdem der Bus losgefahren war, schlief Ben auf meinem Schoß ein, und Sophie nahm meine Hand.
«Kein so glücklicher Tag, nicht wahr?», sagte sie.
«Einer der schlimmsten», sagte ich.
«Stell dir vor, du musst mit dieser Frau vier Stunden lang Konversation machen. Ich wusste schon nicht mehr, was ich sagen sollte, als wir ankamen.»
«Sie mag uns wahrscheinlich nicht sehr.»
«Nein, ich glaube nicht.»
«Aber das ist noch das wenigste.»
«Es war schwer so allein dort oben, nicht wahr?»
«Sehr schwer.»
«Überlegst du es dir noch einmal?»
«Ich fürchte, ja.»
«Ich mache dir keinen Vorwurf. Das Ganze wird ziemlich gespenstisch.»
«Ich muss es noch einmal überdenken. Jetzt habe ich allmählich das Gefühl, dass ich einen großen Fehler gemacht habe.»
Vier Tage später rief Mrs. Fanshawe an, um uns zu sagen, dass sie für einen Monat nach Europa reisen wolle und dass es vielleicht eine gute Idee sei, wenn wir uns gleich um unser Geschäft kümmerten (ihre Worte). Ich hatte vorgehabt, die Dinge laufenzulassen, aber bevor mir eine plausible Erklärung einfiel, nicht hinauszufahren, hörte ich mich schon sagen, ich würde am nächsten Montag kommen. Sophie weigerte sich, mich zu begleiten, und ich drängte sie nicht. Wir hatten beide das Gefühl, dass der letzte Familienbesuch gereicht hatte.
Jane Fanshawe holte mich an der Bushaltestelle ab. Sie lächelte über das ganze Gesicht und begrüßte mich liebevoll. Von dem Moment an, als ich in ihren Wagen stieg, fühlte ich, dass diesmal alles anders sein würde. Sie hatte sich besonders zurechtgemacht (weiße Hose, eine rote Seidenbluse, ihr sonnengebräunter, faltenloser Hals nackt), und es war unschwer zu erkennen, dass sie mich dazu animieren wollte, sie anzusehen und zuzugestehen, dass sie noch schön war. Aber es war mehr als nur das: ein leicht einschmeichelnder Ton lag in ihrer Stimme, in dem mitschwang, dass wir irgendwie alte Freunde waren, auf vertrautem Fuße wegen der Vergangenheit, und war es nicht gut, dass ich allein gekommen war, denn nun waren wir frei, offen miteinander zu sprechen. Ich fand das alles eher unangenehm und sagte nicht mehr, als ich musste.
«Du hast eine hübsche kleine Familie, mein Junge», sagte sie und wandte sich mir zu, als wir vor einer roten Ampel hielten.
«Ja», sagte ich. «Eine hübsche kleine Familie.»
«Das Baby ist natürlich entzückend. Ein richtiger Schatz. Aber ein bisschen wild, meinst du nicht auch?»
«Ben ist erst zwei Jahre alt. Die meisten Kinder sind in diesem Alter sehr ausgelassen.»
«Natürlich, aber ich glaube, Sophie ist in ihn vernarrt. Sie scheint die ganze Zeit ihren Spaß zu haben, wenn du weißt, was ich meine. Ich sage nichts gegen ihr Lachen, aber ein klein wenig Disziplin würde auch nicht schaden.»
«Sophie ist allen gegenüber so», sagte ich. «Eine lebhafte Frau muss auch eine lebhafte Mutter sein. Soviel ich sagen kann, hat Ben keine Klagen.»
Eine kurze Pause, und dann, als wir weiterfuhren und eine breite
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