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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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auch falsch sein. Das Wichtige war, dass Sophie keine Einwände erhob. Gut, sagte sie, fahr nur und so weiter. Im Innersten hatte ich das Gefühl, dass sie vermutete, dass etwas im Gange war, aber das ist nur ein Gefühl, und es wäre zwecklos, hier Mutmaßungen darüber anzustellen. Was Sophie anbetrifft, neige ich dazu, zu glauben, dass ihr nichts verborgen bleibt.
    Ich buchte einen Platz für den 1. April im Frühzug. Am Morgen meiner Abreise wachte Paul kurz vor fünf auf und kroch zu uns ins Bett. Ich stand eine Stunde später auf und schlich aus dem Zimmer. An der Tür blieb ich kurz stehen, um Sophie und das Baby zu betrachten – sie lagen da, unzugänglich, die Körper, denen ich gehörte. Ben war oben in der Küche, schon angezogen; er aß eine Banane und malte Bilder. Ich machte Rührei für uns beide und sagte ihm, dass ich gleich mit dem Zug nach Boston fahren würde. Er wollte wissen, wo Boston ist.
    «Ungefähr dreihundert Kilometer von hier», sagte ich.
    «Ist das so weit wie der Weltraum?»
    «Wenn du in die Höhe fliegst, kommst du ungefähr hin.»
    «Ich denke, du solltest zum Mond fliegen. Ein Raumschiff ist besser als ein Zug.»
    «Das tue ich auf dem Rückweg. Es gibt jeden Freitag regelmäßige Flüge von Boston zum Mond. Ich werde mir einen Platz reservieren lassen, sobald ich hinkomme.»
    «Gut, dann kannst du mir erzählen, wie es da ist.»
    «Wenn ich einen Mondstein finde, bringe ich ihn dir mit.»
    «Und was ist mit Paul?»
    «Dem bringe ich auch einen mit.»
    «Nein danke.»
    «Was soll das heißen?»
    «Ich will keinen Mondstein. Paul würde seinen in den Mund stecken und ersticken.»
    «Was hättest du stattdessen gern?»
    «Einen Elefanten.»
    «Es gibt keine Elefanten im Weltraum.»
    «Ich weiß. Aber du fliegst ja auch nicht in den Weltraum.»
    «Richtig.»
    «Und ich wette, es gibt Elefanten in Boston.»
    «Du hast wahrscheinlich recht. Möchtest du einen rosa Elefanten oder einen weißen Elefanten?»
    «Einen grauen Elefanten. Einen großen, fetten mit vielen Runzeln.»
    «Kein Problem. Die sind am leichtesten zu finden. Möchtest du ihn in einer Schachtel verpackt, oder soll ich ihn an der Leine nach Hause bringen?»
    «Ich denke, du solltest ihn nach Hause reiten. Auf ihm sitzen mit einer Krone auf dem Kopf. Wie ein Kaiser.»
    «Der Kaiser wovon?»
    «Der Kaiser der kleinen Jungen.»
    «Bekomme ich auch eine Kaiserin?»
    «Natürlich. Mami ist die Kaiserin. Das würde ihr gefallen. Vielleicht sollten wir sie aufwecken und es ihr sagen.»
    «Nein. Ich möchte sie lieber damit überraschen, wenn ich nach Hause komme.»
    «Gute Idee. Sie wird es ohnehin nicht glauben, bis sie es sieht.»
    «Genau. Und wir wollen nicht, dass sie enttäuscht ist. Falls ich den Elefanten nicht finde.»
    «Oh, du wirst ihn finden, Pa. Mach dir deshalb keine Sorgen.»
    «Wie kannst du so sicher sein?»
    «Weil du der Kaiser bist. Ein Kaiser kann alles bekommen, was er will.»

    Es regnete während der ganzen Fahrt, und der Himmel drohte sogar Schnee an, als wir nach Providence kamen. In Boston kaufte ich mir einen Schirm und legte die letzten drei oder vier Kilometer zu Fuß zurück. Die Straßen wirkten düster in der pissegrauen Luft, und auf dem Weg zum South End sah ich beinahe niemanden: nur einen Betrunkenen, eine Gruppe Teenager, einen Telefonmann, zwei oder drei streunende Köter. Columbus Square bestand aus einer Reihe von zehn oder zwölf Häusern an einem mit Kopfsteinen gepflasterten Platz, der sie wie eine Insel von der Hauptverkehrsstraße abschnitt. Nummer neun war von allen das verfallenste Haus. Es hatte drei Stockwerke wie die anderen, aber es war eingesunken, Bretter stützten den Eingang ab, und die Ziegelfassade war reparaturbedürftig. Dennoch wirkte das Haus solide und strahlte trotz der Risse noch die Eleganz des 19. Jahrhunderts aus. Ich stellte mir große Räume mit hohen Decken vor, bequeme Simse im Erkerfenster, Stuckornamente. Aber ich bekam nichts von alldem zu sehen. Ich sollte nicht über den Eingangsflur hinauskommen.
    An der Tür befand sich eine rostige Metallklingel, eine Halbkugel mit einem Griff in der Mitte, und als ich am Griff drehte, gab sie ein Geräusch von sich, als ob jemand kotzte – einen gedämpften, würgenden Laut, der nicht sehr weit trug. Ich wartete, aber nichts geschah. Ich drehte noch einmal an der Klingel, aber niemand kam. Dann drückte ich gegen die Tür und sah, dass sie nicht versperrt war, stieß sie auf, wartete und ging hinein. Der Flur

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