Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
(Mai 1984) aus betrachtet, ist das das Einzige, was zählt. Daneben sind die Fakten meines Lebens rein zufällig.
Am 23. Februar 1981 wurde Bens Bruder geboren. Wir nannten ihn Paul zum Andenken an Sophies Großvater. Einige Monate später (im Juli) zogen wir auf die andere Seite des Flusses und mieteten die beiden obersten Stockwerke eines Sandsteinhauses in Brooklyn. Im September begann Ben, den Kindergarten zu besuchen. Zu Weihnachten flogen wir alle nach Minnesota, und als wir zurückkamen, konnte Paul schon gehen. Ben, der ihn allmählich unter seine Fittiche genommen hatte, rechnete sich diese Entwicklung als sein Verdienst an.
Was Fanshawe anbetraf, so sprachen Sophie und ich nie über ihn. Das war unser stillschweigender Pakt, und je länger wir nichts sagten, desto mehr bewiesen wir unsere gegenseitige Loyalität. Nachdem ich Stuart Green den Vorschuss zurückgegeben und offiziell aufgehört hatte, die Biographie zu schreiben, erwähnten wir Fanshawe nur einmal. Das war an dem Tag, an dem wir beschlossen, wieder zusammenzuleben, und es ging um rein praktische Dinge. Fanshawes Bücher und Bühnenstücke hatten weiterhin gute Einkünfte erzielt. Wenn wir verheiratet bleiben wollten, sagte Sophie, komme es nicht in Frage, das Geld für uns selbst zu verwenden. Ich stimmte ihr zu. Wir fanden andere Möglichkeiten, das Geld zu verdienen, was wir brauchten, und ließen die Autorenhonorare für Ben – und dann auch für Paul – treuhänderisch verwalten. Als letzte Maßnahme engagierten wir einen literarischen Agenten, der sich um die geschäftliche Seite von Fanshawes Werk kümmerte: Anfragen bezüglich der Aufführung von Stücken, Verhandlungen wegen Neuauflagen, Verträge; was immer anfiel. Was wir tun konnten, das taten wir. Wenn Fanshawe nun noch die Macht hätte, uns zu vernichten, so nur, weil wir es wollten, weil wir uns selbst zerstören wollten. Deshalb sagte ich Sophie auch nie die Wahrheit – nicht weil sie mir Angst machte, sondern weil die Wahrheit nicht mehr wichtig war. Unsere Stärke lag in unserem Schweigen, und ich hatte nicht die Absicht, es zu brechen.
Dennoch wusste ich, dass die Geschichte noch nicht vorüber war. Mein letzter Monat in Paris hatte mir das gezeigt, und nach und nach lernte ich, das zu akzeptieren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Nächste geschah. Das schien mir unvermeidlich zu sein, und anstatt es zu leugnen, anstatt mich mit dem Gedanken zu täuschen, dass ich Fanshawe jemals loswerden könnte, versuchte ich, mich darauf vorzubereiten, versuchte ich, mich auf alles gefasst zu machen. Es ist die Macht dieses Alles , glaube ich, die es so schwer macht, die Geschichte zu erzählen. Denn wenn alles geschehen kann – das genau ist der Moment, in dem die Worte zu versagen beginnen. In dem Maße, in dem Fanshawe unvermeidlich war, war er nicht mehr da. Ich lernte, das zu akzeptieren. Ich lernte, mit ihm zu leben, wie ich mit dem Gedanken an meinen eigenen Tod lebte. Fanshawe selbst war nicht der Tod – aber er war wie der Tod, und er fungierte als Sinnbild für den Tod in mir. Ohne meinen Zusammenbruch in Paris würde ich das nie verstanden haben. Ich starb dort nicht, aber ich war nahe daran, und es gab einen Augenblick, vielleicht sogar mehrere Augenblicke, in denen ich den Tod schmeckte und mich tot sah. Es gibt keine Heilung für eine solche Begegnung. Wenn sie einmal geschehen ist, geschieht sie weiter; man lebt mit ihr den Rest seines Lebens.
Der Brief kam zu Beginn des Frühjahrs 1982. Diesmal war der Poststempel aus Boston, und die Botschaft war knapp, drängender als vorher. «Unmöglich, länger durchzuhalten», lautete sie. «Muss mit dir sprechen. 9 Columbus Square, Boston, 1. April. Dort endet es. Ich verspreche es.»
Ich hatte weniger als eine Woche, um einen Vorwand zu finden, nach Boston zu fahren. Das erwies sich als schwieriger, als es hätte sein sollen. Obwohl ich nach wie vor nicht wollte, dass Sophie etwas erfuhr (weil ich das Gefühl hatte, dass dies das Mindeste war, was ich für sie tun konnte), scheute ich irgendwie davor zurück, eine neue Lüge zu erzählen, und ich musste es doch tun. Zwei oder drei Tage vergingen, ohne dass ich weiterkam, und schließlich braute ich eine schwache Geschichte zusammen: ich müsse Papiere in der Harvard-Bibliothek konsultieren. Ich kann mich nicht einmal erinnern, was für Papiere es angeblich waren. Sie hatten etwas mit einem Artikel zu tun, den ich schreiben wollte, glaube ich, aber das könnte
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