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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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gut.
    War er auch ein Dichter?
    Nicht gerade das. Aber trotzdem ein großer Schriftsteller. Er ist der, der allein im Wald lebte.
    O ja, sagt Blue, der es mit seiner Unwissenheit nicht zu weit treiben will. Jemand erzählte mir einmal von ihm. Er liebte die Natur. Ist das der Mann, den Sie meinen?
    Genau der, antwortet Black. Henry David Thoreau. Er kam für eine kleine Weile von Massachusetts herunter und stattete Whitman in Brooklyn einen Besuch ab. Aber am Tag davor kam er hierher in die Orange Street.
    Aus irgendeinem besonderen Grund?
    Plymouth Church. Er wollte Henry Ward Beechers Predigt hören.
    Ein schöner Ort, sagt Blue und denkt an die angenehmen Stunden, die er auf dem grasbewachsenen Friedhof verbracht hat. Ich gehe selbst gern dorthin.
    Viele große Männer sind dorthin gegangen, sagt Black. Abraham Lincoln, Charles Dickens – sie gingen alle diese Straße hinunter und in die Kirche.
    Gespenster.
    Ja, es gibt Gespenster überall um uns herum. Und die Geschichte?
    Sie ist wirklich sehr einfach. Thoreau und Bronson Alcott, ein Freund von ihm, kamen im Haus der Familie Whitman in der Myrtle Avenue an, und die Mutter schickte sie hinauf in das Schlafzimmer unter dem Dach, das Walt mit seinem geistig zurückgebliebenen Bruder Eddy teilte. Alles war bestens, sie schüttelten einander die Hände, tauschten Begrüßungen aus und so weiter. Aber dann, als sie sich setzten, um ihre Anschauungen über das Leben zu erörtern, entdeckten Thoreau und Alcott einen vollen Nachttopf mitten im Zimmer. Walt war ein großzügiger Geist und achtete nicht auf so etwas, aber den beiden Neuengländern fiel es schwer, mit einem Topf voller Exkremente vor ihrer Nase weiterzusprechen. Sie gingen schließlich hinunter ins Wohnzimmer und setzten dort ihr Gespräch fort. Es ist ein unbedeutendes Detail, ich weiß. Aber immerhin, wenn zwei große Schriftsteller einander begegnen, wird Geschichte gemacht, und es ist wichtig, alle Fakten richtig zu verstehen. Sehen Sie, der Nachttopf erinnert mich irgendwie an das Gehirn auf dem Boden. Und wenn Sie einmal darüber nachdenken, besteht tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit der Form. Die Beulen und Windungen, meine ich. Da gibt es eindeutig eine Verbindung. Gehirn und Eingeweide, das Innere eines Menschen. Wir reden immer davon, dass wir versuchen, uns in einen Schriftsteller hineinzuversetzen, um sein Werk besser zu verstehen. Aber wenn man sich einmal richtig damit befasst, ist dadrinnen nicht viel zu finden – jedenfalls nicht viel, das anders wäre als das, was man in jedem anderen findet.
    Sie scheinen viel über diese Dinge zu wissen, sagt Blue, der den Faden von Blacks Gedanken allmählich verliert.
    Es ist mein Hobby, sagt Black. Ich weiß gern, wie Schriftsteller leben, vor allem amerikanische Schriftsteller. Es hilft mir, die Dinge zu verstehen.
    Ich sehe, sagt Blue, der gar nichts sieht, denn mit jedem Wort, das Black sagt, versteht er immer weniger.
    Nehmen Sie, zum Beispiel, Hawthorne, sagt Black. Ein guter Freund von Thoreau und wahrscheinlich der erste wirkliche Schriftsteller, den Amerika hatte. Nachdem er das College abgeschlossen hatte, kehrte er zurück in das Haus seiner Mutter in Salem, schloss sich in seinem Zimmer ein und kam zwölf Jahre nicht mehr heraus.
    Was tat er dadrinnen?
    Er schrieb Geschichten.
    Ist das alles? Er schrieb nur?
    Schreiben ist ein einsames Geschäft. Es nimmt das ganze Leben in Anspruch. In einem gewissen Sinne hat ein Schriftsteller kein eigenes Leben. Selbst wenn er da ist, ist er nicht wirklich da.
    Auch ein Gespenst.
    Genau.
    Klingt geheimnisvoll.
    Ist es auch. Aber, sehen Sie, Hawthorne schrieb großartige Geschichten, und wir lesen sie heute noch, nach mehr als hundert Jahren. In einer von ihnen beschließt ein Mann namens Wakefield, seiner Frau einen Streich zu spielen. Er sagt ihr, dass er für ein paar Tage geschäftlich verreisen muss, aber anstatt die Stadt zu verlassen, geht er nur um die Ecke, mietet ein Zimmer und wartet ab, was geschehen wird. Er kann nicht mit Sicherheit sagen, warum er das tut, aber er tut es trotzdem. Drei oder vier Tage vergehen, aber er fühlt sich noch nicht bereit, nach Hause zurückzukehren, und so bleibt er in dem gemieteten Zimmer. Aus den Tagen werden Wochen, aus den Wochen Monate. Eines Tages geht Wakefield seine alte Straße hinunter und sieht an seinem Haus schwarzen Flor für seine eigene Trauerfeier, und seine Frau ist eine einsame Witwe geworden. Jahre vergehen. Ab und zu kreuzen sich seine

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