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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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von Xanten an und zeigte sich. Zeigte sich gern. Erzählte gern. Führte sich vor.
    Alle sagten: »Dieser Siegfried ist glücklich.« Und alle sagten: »Fast ist er absolut glücklich.« Und betonten: »Fast!«
    Und Siegfried fragte: »Was? Warum fast? Warum nur fast. Was fehlt mir denn noch?«
    Man sagte zu ihm: »Tja …«
    »Sagt es, sagt es mir!« drängte er.
    Da wurde gedruckst: »Etwas ganz Entscheidendes fehlt dir.«
    »Was! Was!«
    »Eine Frau fehlt dir.«
    Da war Siegfried mit einem Schlag kreuzunglücklich.
    Er beriet sich mit seinem Vater und seiner Mutter: »Was für eine Frau? Was für eine Frau? Wie soll ich eine Frau bekommen, die zu mir paßt? Zu mir, der ich alles habe außer einer Frau? Welche Frau will einen Mann, der alles hat außer einer Frau?«
    »Dumme Frage«, sagte sein Vater. »Jede Frau will so einen Mann!«
    »Das würde ich nicht in jedem Fall unterschreiben«, sagte die Mutter.
    Am Ende kam folgendes heraus: »Es gibt da eine, vielleicht die einzige überhaupt, die zu Siegfried passen könnte, die Schönste, die Klügste, und hinter allem ein Ausrufezeichen. Kriemhild heißt sie, Kriemhild von Worms.«
    Da machte sich Siegfried mit zwölf seiner Leute auf den Weg nach Worms. Er wollte um die Hand von Kriemhild anhalten.
    Aber Siegfried wußte nicht, wie man um die Hand einer Frau anhält.
    Da gab es einen Ritter in seinem Gefolge, von dem wurde gesagt, er kenne sich in solchen Dingen aus. An ihn wandte sich Siegfried, während die anderen das Lager aufschlugen.
    »Ein Rezept gibt es da leider keines«, sagte dieser Ritter. »Es lassen sich verschiedene Methoden anwenden.«
    »Wie viele Methoden ungefähr?« fragte Siegfried.
    »So viele Methoden, wie es Männer gibt.«
    »Heißt das, daß jeder seine eigene Methode hat?«
    »Ich glaube, das heißt es.«
    »Und wo lernt einer, was seine Methode ist?«
    »Das lernt man in keiner Schule«, sagte der Ritter.
    »Das heißt«, sagte Siegfried, »da muß einer selber draufkommen?«
    »Ich nehme an, es ist so.«
    In den folgenden Tagen war Siegfried sehr schweigsam. Und schließlich am letzten Abend ihrer Reise, als sie der Stadt Worms schon nahe waren, bat Siegfried den Ritter abermals zu sich.
    »Ich bin nicht dahintergekommen«, sagte er. »Darum frage ich Euch: Welche Methode würdet Ihr an meiner Stelle anwenden?«
    »Ich«, sagte der Ritter, ohne lange zu überlegen, »ich würde vor den König der Burgunden hintreten und sagen: Ich bin Siegfried von Xanten, wir beide machen einen Zweikampf. Sollte ich verlieren, bekommt Ihr mein ganzes Reich, sollte ich gewinnen und Euch töten, bekomme ich Euer ganzes Reich und Kriemhild, die schöne Jungfrau, dazu.«
    »Und was gäbe es sonst noch für eine Methode für mich?« fragte Siegfried.
    »Ich wüßte sonst keine«, sagte der Ritter.
    Am nächsten Tag ritten sie in Worms ein und ritten hinauf zur Burg und ritten über die Zugbrücke und wurden von Gunther, Giselher und Gernot begrüßt.
     
    Und hier schließt sich der Kreis unserer Erzählung, und wir sind wieder im Innenhof des Schlosses. Rechts der Turm, oben die Kammer, hinter den Gardinen Kriemhild. Nun sehen wir die Szene aber aus einer anderen Perspektive, nämlich aus Siegfrieds Augen.
    Er weiß nicht, daß oben im Turm hinter den Vorhängen Kriemhild steht und durch das Fenster auf ihn herunterblickt. Er steigt vom Pferd, es kommen ihm Gunther, Gernot und Giselher entgegen, um ihn zu begrüßen. Ja, und auch Hagen von Tronje tritt Siegfried mit freundlicher Miene entgegen.
    In gemessenem Abstand freilich, er ist der Lehnsmann, nicht der Lehnsherr. Siegfried, der naive – noch beurteilt er die Menschen nach ihrem Gesicht, nicht nach irgendwelchen Regeln von Auftritt und Abtritt, nach dem Charakter will er die Menschen beurteilen, dem Charakter, der aus ihren Gesichtern spricht –, Siegfried sieht sich die Männer an und geht geradewegs auf Hagen von Tronje zu.
    »Ich nehme an, Ihr seid der König«, sagt er. »Folgender Vorschlag: Ich bin Siegfried von Xanten, wir beide machen einen Zweikampf. Sollte ich verlieren, bekommt Ihr mein ganzes Reich, sollte ich gewinnen und Euch töten, bekomme ich Euer ganzes Reich und Kriemhild, die schöne Jungfrau, dazu. Ist das in Ordnung?«
    Der Hagen von Tronje lächelt.
    Dieses Lächeln zu interpretieren lohnt sich. Es ist mit drei Empfindungen durchsetzt. Zunächst einmal ist da Amüsement. Hagen ist ein weitgereister, welterfahrener Mann. Wäre ihm Siegfried mit Hinterhalt und Ränken im Sinn

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