Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
sich gesagt: »Gemeinsam muß es uns gelingen, auch gegen Hagen von Tronje, Worms und die Burgunden zu besiegen.«
    Und Hagens Autorität erwies sich in der Bewährung als brüchig. Er geriet in Panik. In den ersten Tagen nach der Kriegserklärung war er nicht ansprechbar, er zog sich in seine Gemächer zurück, ließ ausrichten, er müsse nachdenken, oder ließ gar nichts ausrichten.
    Hagen hatte sich darauf verlassen, daß die Feindschaft zwischen Lüdegast und Lüdeger auf ewig stabil sei, schließlich hatte er selbst all seine diplomatische Kunst aufgebracht, um diese Feindschaft am Leben zu erhalten. Und nun hatten sich die beiden zu einer Allianz zusammengeschlossen. Hagen wußte nicht, was er tun sollte.
    Gunther, Gernot und Giselher wiederum hatten sich in allen Belangen des Äußeren voll und ganz auf Hagen verlassen, sie hatten nicht einmal eine Idee, wie der neuen Situation beizukommen sein könnte. Fünfmal am Tag schickten sie nach Hagen, am Ende pochte Gunther selbst an dessen Tür.
    Hagen konnte die Lage als einziger wirklich einschätzen. Er wußte, gegen diese beiden Heere, das dänische und das sächsische, hatte das kleine Burgund nichts aufzubieten.
    Schließlich trat er nach drei Tagen aus seinen Arbeitsräumen und ließ eine Versammlung aller Ritter einberufen.
    »Verteidigen!« sagte er. »Es bleibt uns nur diese Möglichkeit. Verteidigen! Die Stadttore müssen zugemauert werden bis auf eines. Die Mauern müssen verstärkt werden. Verteidigung, Verteidigung, etwas anderes wird nichts nützen.«
    Siegfried war als Gast zu dieser Ratsversammlung eingeladen, und er hörte sich das alles an. Enthielt sich aber jeder Stellungnahme.
    Hagen steckte mit seiner Panik die anderen an, vor allem Gunther. Zum Schluß wandte sich Gunther an Siegfried.
    »Es tut mir leid«, sagte er, »daß ich meine Pflicht als Gastgeber verletze und mich an Euch wende. Ihr habt gehört, was wir hier besprochen haben. Was ist Eure Meinung? Und noch wichtiger die Frage: Werdet Ihr uns helfen?«
    Siegfried sagte: »Selbstverständlich werde ich Euch helfen. Und wenn Ihr mich nach meiner Meinung fragt«, und er verbeugte sich zu Hagen hin, »dann sage ich sie Euch auch. Hagen, seid mir nicht böse, aber ich muß Euch in allem widersprechen. Ich bin ganz anderer Ansicht als Ihr. Wenn diese beiden Heere wirklich so stark sind, wie Ihr sagtet, wenn sie uns wirklich so haushoch überlegen sind, dann wird uns eine Verteidigung vielleicht ein paar Tage, vielleicht, wenn wir Glück haben, ein paar Wochen vor dem Untergang bewahren. Aber dann werden wir verloren sein. Wir werden alles verlieren und werden ausbluten. Und für Verhandlungen wird es dann zu spät sein.«
    »Was schlagt Ihr vor?« fragte Hagen und setzte eine überlegene Miene auf.
    »Wir müssen angreifen«, sagte Siegfried.
    »Unsinn«, rief Hagen, »das wäre verrückt! Selbstmord! Es wäre pure Frechheit und hätte mit Kriegführung nichts zu tun!«
    »So mag es erscheinen«, sagte Siegfried. »Und so soll es auch erscheinen. Lüdegast und Lüdeger rechnen mit allem möglichen, aber ganz sicher nicht damit, daß wir angreifen. Unsere einzige Chance ist dieser Überraschungseffekt.«
    Siegfried argumentierte weiter und überzeugte schließlich die anderen, überzeugte Gunther, Giselher und Gernot. Und zum ersten Mal fällte Gunther eine Entscheidung gegen Hagen von Tronje.
    Er sagte: »Nein, Hagen! Wir werden verlieren, auch wenn wir uns verteidigen. Aber dann können wir gleich den Angriff versuchen. Wir werden ein Heer aufstellen, wir werden die Stadt verlassen und werden Lüdegast und Lüdeger angreifen.«
     
    Und so geschah es.
    Siegfried zog, wie er es versprochen hatte, im Heer mit, und er unterstellte sich dem Oberbefehl Hagens, ohne Widerrede tat er das.
    Dennoch: Hagen fühlte sich gedemütigt. Der Schüler hatte sich gegen den Lehrer erhoben, und er hatte sich durchgesetzt. So sah er die Sache. Er war ja nicht ein so weitblickender, gütiger Lehrer wie Mime, dessen ganzer Ehrgeiz darauf ausgerichtet war, einen Schüler zu erziehen, der eines Tages besser war als der Lehrer. Nein, Hagen wollte Siegfried beherrschen, wollte Siegfried zu seinem Instrument machen.
    Sein Herz füllte sich mit Bitterkeit gegen Siegfried, und er sagte bei sich: »Na gut, vielleicht ist es höchste Zeit, ihn zu verlieren, diesen Siegfried.« Und er dachte: Ich möchte mir dabei allerdings nicht die Hände schmutzig machen. Überlassen wir es also dem Zufall.
    Als sich das Heer dem

Weitere Kostenlose Bücher