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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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isländischen Sagenwelt taucht dieser Alberich auf als ein Zwischenwesen zwischen den weißen Elfen und den schwarzen Elfen, zwischen Gut und Böse. Er ist vierhundert Jahre alt, stark wie zwölf Männer, in der Gestalt zierlich wie ein Kind – widersprüchlicher läßt sich ein Wesen nicht denken. Wagner macht einen griesgrämigen, bösen, bärtigen Zwerg aus ihm. In Shakespeares Sommernachtstraum finden wir im Puck einen Verwandten.
    Alberich also krallte sich an Siegfried fest und hieb auf ihn ein. Zuletzt verlor Siegfried sein Schwert Balmung, Alberich, unsichtbar und flink, schnappte es sich, und nun mußte Siegfried einen merkwürdigen Kampf führen, nämlich gegen ein Schwert, das in der Luft tanzte und dessen Bewegungen unberechenbar waren.
    Da gab Siegfried seinem Schwert nun zum drittenmal einen Befehl: »Balmung, Schwert, hör zu!« rief er. »Schlag den, der dich führt!«
    Da schlug das Schwert zurück, schlug dem Zwerg Alberich die Tarnkappe vom Kopf. Der Zwerg fiel um, und nun griff sich Siegfried das Schwert wieder, stellte sich über den Zwerg und drückte ihm die Spitze des Schwertes auf die Kehle.
    Er sagte: »Ich will dir nichts tun, ich will dich nicht töten.«
    »Dann tu es nicht«, jammerte der Zwerg.
    »Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht töten soll!« rief Siegfried.
    Alberich sagte: »Ja, ich werde dir einen Grund sagen. Dieser ganze Schatz, der hier liegt, gehört nun dir, und das stumme Heer an der Felswand, es wird dir gehorchen. Aber du brauchst jemanden, der den Schatz verwaltet und das Heer beaufsichtigt. Ich werde das für dich tun.«
    »Und warum sollte ich dir glauben?« fragte Siegfried. »Ich habe kein Pfand von dir.«
    »Nimm das Wertvollste, was ich besitze, nimm meine Tarnkappe als Pfand«, sagte Alberich.
    Das war Siegfried recht. So überließ er dem Zwerg Alberich die Verwaltung seines Schatzes und die Aufsicht über das Heer der Nibelungen. Das Gold wurde wieder in die Höhle zurückgebracht.
    Und am Ende der Nacht fragte Siegfried den Alberich: »Weißt du, ich habe heute einen Drachen besiegt, ich bin gehörnt und unverwundbar gemacht worden, ich besitze den größten Schatz der Welt, ich habe ein Schwert bekommen, das meine Befehle ausführt, und ich habe eine Tarnkappe bekommen. Aber ich muß eine Aufgabe erfüllen, ich muß zum Köhler gehen und Holzkohle holen. Wo ist dieser Köhler?«
    »Da bist du aber auf dem falschen Weg«, sagte Alberich. »Du hättest vorne an der Kreuzung nicht nach links, sondern nach rechts gehen müssen. Du bist betrogen worden von den Gesellen des Mime. Sie wollten dich ins Verderben locken.«
    »Und warum wollten sie das?« fragte Siegfried.
    »Warum wohl!« spottete Alberich.
    »Ich weiß nicht, warum!« stampfte Siegfried zornig auf.
    »Dann denk nach!«
    »Ich kann aber nicht dahinterkommen«, rief Siegfried aus. »Ich habe immer alles richtig gemacht. Ich habe am besten gearbeitet von allen. Ich habe die schwersten Lasten getragen, ich habe nie jemanden verspottet, nie jemanden ausgelacht, habe aber immer über die dummen Witze der anderen gelacht. Ich war am Morgen der erste bei der Arbeit und am Abend der letzte. Und wenn die anderen fluchten, habe ich geschwiegen, aber selber geflucht habe ich nicht. Ich habe als Gesellenstück ein äußerst kompliziertes Netz geschmiedet, während die anderen nichts als Eisenbahnschienen zusammengehämmert haben.«
    »Eben«, sagte Alberich.
    Aber Siegfried verstand ihn nicht. Bei sich dachte er: Nun ja, wenn die Gesellen mich betrügen wollen, wenn sie meinen Untergang wollen, dann habe ich keine Verpflichtung mehr gegen sie. Dann brauche ich nicht zum Köhler zu gehen, dann brauche ich die Holzkohle nicht zu bringen.
    Und er warf die Körbe weg und machte sich auf den Heimweg nach Xanten. Er hatte seiner Mutter ja versprochen, wenn er irgend etwas gefunden hätte, was für ihn einen Wert hatte, dann würde er zurückkehren. Nun hatte er sehr viel gefunden, nun wollte er heim.

Dritter Teil
Siegfried in Worms

Siegfrieds Ankunft
     
    Sehen wir uns diesen Siegfried an: Er war ausgezogen, um die Welt kennenzulernen, um das Leben kennenzulernen. Nichts hatte er bei sich gehabt außer seiner Zuversicht, seiner Kraft und seinem Vertrauen. Und nun: Er ist ungeheuer stark, besitzt zwei Wunderwaffen, ein Schwert, das ihm gehorcht, und eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar macht. Er ist sagenhaft reich, nennt den Schatz der Nibelungen sein eigen. Und – er hat ein Handwerk erlernt. So kam er am Hof

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