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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Schlachtplatz näherte, verkündete Hagen: »Es muß einer vorausreiten und die Lage auskundschaften. Es muß aber einer sein, den diese beiden Könige nicht kennen, ein Fremder. Siegfried, Ihr sollt das machen! Ihr reitet voraus!«
    Hagen wußte, wenn Siegfried gefangen würde, dann wäre dies sein Tod. Er dachte sich: Gut, dann hat das Schicksal gesprochen.
    Aber es geschah ganz anders.
    Siegfried setzte sich auf sein Pferd, ritt zu dem Hügel, der vor ihnen lag, und hinter diesem Hügel sah er nun die Heere von Lüdegast und Lüdeger. Da sah er auch, daß Hagen recht gehabt hatte, daß es ein Wahnwitz war, ein Witz, gegen dieses große gemeinsame Heer in die Schlacht zu ziehen, daß auch der Überraschungseffekt nichts nützen würde.
    Er wollte schon umkehren, wollte den Freunden zurufen: Kehren wir zurück, tun wir, was Hagen geraten hat, setzen wir alles auf Verteidigung. Da sah er, daß er bemerkt worden war, daß sich einer aus dem Heer löste, auf dem Pferd auf ihn zu galoppiert kam. Und dieser eine, der sah vornehm aus, und der legte die Lanze ein. Und da ritt ihm Siegfried mit ebenfalls eingelegter Lanze entgegen.
    Als sie aufeinander trafen, faßte Siegfried die Lanze seines Gegners und riß ihn zu Boden. In der Rüstung konnte er sich kaum bewegen. Siegfried sprang vom Pferd, stellte sich über ihn, riß ihm den Helm vom Kopf, und er sah, es war ein edler Herr.
    Er drückte ihm sein Schwert Balmung auf die Kehle und sagte: »Wer bist du?«
    »Ich bin der König«, sagte der am Boden. »Ich bin König Lüdegast von Dänemark. Es ist die Gepflogenheit, daß der König mit allen Ehren gefangengenommen wird.«
    »Ah«, sagte Siegfried, »ist das die Gepflogenheit? Na gut, ich werde diese Gepflogenheit nicht einhalten. Weißt du, was ich tun werde? Ich werde dich an den Füßen fesseln und hinter meinem Pferd herziehen, und das vor den Augen deines ganzen Heeres, bis du nicht mehr am Leben bist.«
    Lüdegast war empört: »Das ist aber gegen jede Gepflogenheit!«
    Siegfried sagte: »Ja, das ist gegen jede Gepflogenheit.«
    »Gibt es eine Möglichkeit, daß wir darüber reden?« fragte Lüdegast.
    »Ja«, sagte Siegfried, »es gibt eine Möglichkeit. Aber ich rede nicht mit einem König allein, ich rede nur mit beiden Königen. Veranlasse, daß Lüdeger zu uns stößt. Dann können wir reden. Dann können wir auch über die Gepflogenheiten reden.«
    Lüdegast gab seinen Leuten Zeichen, und nun kam auch Lüdeger von Sachsen dahergeritten.
    Aber auch diesmal hielt sich Siegfried nicht an die Gepflogenheiten. Er gab seinem Schwert Balmung den Befehl: »Entwaffne die beiden!«
    Wie der Wind schwirrte das Schwert um die beiden herum, bis sie hilflos vor Siegfried standen.
    »Was ist mit unserer Abmachung?« fragte Lüdegast.
    »Was ist damit?« fragte Siegfried.
    Er fesselte die beiden und führte sie vor den Augen ihrer Heere zu Gunther.
     
    Lüdegast und Lüdeger wurden nach Worms gebracht. Großer Jubel brach aus. Ohne einen Schuß, ohne einen Stich, ohne einen Hieb war dieser Krieg gewonnen worden!
    Und dieser Siegfried hat das ganz allein zustande gebracht! Siegfried war der Held.
    Und Hagen? Wie reagierte er? Natürlich war er eifersüchtig, neidisch. Sicher, er haßte Siegfried. Aber er bewunderte ihn auch.
    Und er dachte bei sich: Vielleicht habe ich in meinem ganzen Leben alles falsch gemacht, mit meiner Diplomatie, den Ränken, den Strategien und Taktiken, immer das eine gegen das andere abwägen, hier einen Schlupfwinkel suchen, dort verlogene Offenheit, dann so tun, als ob man hart ist, dann wieder sich geschmeidig geben. Vielleicht war das falsch, vielleicht ist das richtig, wie er das macht. Immer in der Direttissima. Er hat gesagt: Angriff, nicht Verteidigung! So will ich es in Zukunft auch machen. So dachte Hagen.
    Der Rat trat zusammen, es wurde überlegt, was mit den beiden Königen geschehen sollte. Hagen dachte sich: Jetzt werde ich Siegfried zuvorkommen. Jetzt werde ich es sein, der die harten Maßnahmen fordert, jetzt werde ich so sein wie er.
    Er rief: »Todesstrafe! Wir werden Lüdegast und Lüdeger öffentlich enthaupten, werden ihre Köpfe an das Stadttor hängen zur Warnung für alle unsere Feinde.«
    Zur Überraschung aller sagte Siegfried: »Nein! Nein, das werde ich nicht zulassen. Sie sind meine Gefangenen. Sie werden nicht getötet, niemand wird ihnen auch nur ein Haar krümmen!«
    Alle waren verwundert. Gunther meinte zu wissen, was Siegfried wollte.
    »So meint Ihr das«, sagte

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