Die Nibelungen neu erzählt
blicken.
»Wir haben es alle gehört«, stellt Hagen fest und nimmt dadurch jedem die Möglichkeit, so zu tun, als sei das nicht vorgefallen, was eben vorgefallen ist.
Das Fest wurde abgebrochen, jeder ging seiner Wege. Niemand lachte. Die Sache war zu irrwitzig, als daß man darüber hätte lachen wollen. Brünhild heiraten, Brünhild von Island! Ausgerechnet Gunther! Aber es war ausgesprochen. Und alle hatten es gehört. Königsworte, da lacht man nicht.
Wer war diese Brünhild von Island?
Hier verläßt unsere Geschichte abermals das schon beinahe Historische und taucht zurück in das Märchenhafte.
Brünhild war eine märchenhafte Königin. Ihr Ruf hallte durch die ganze Welt, sie galt als unbesiegbar, eine Frau, stärker als ein halbes Dutzend starker Männer. Niemand am Hof zu Worms hatte sie je gesehen. Aber jeder behauptete, einen zu kennen, der einen kannte, der sie gesehen hatte. Eine Sagengestalt.
Viele bezweifelten ihre Existenz, behaupteten, diese Frau gehöre rein der Phantasie an. Das waren Schöngeister aus dem Süden, die sich die Geschichten anhörten.
»Nein«, sagten sie, »das ist alles Aberglaube. Aberglaube, der im Schatten und im Nebel des Nordens aufkommt. Bei Sonnenlicht betrachtet, ist das Unfug!« – So die Männer aus dem Süden.
In Worms am Hof der Burgunden jedoch war jeder überzeugt, daß diese Brünhild lebte, daß sie in Island lebte und wunderschön war, wunderschön und grausam. Von ihren Taten berichteten die Geschichtenerzähler, und den Zuhörern graute.
Viele Helden, alles in allem nicht die allerklügsten freilich, hatten sich schon auf den Weg gemacht nach Island, um Brünhild zu freien. Man wußte, sie hatte versprochen, sie werde denjenigen zum Mann nehmen, der sie besiegte. Man wußte auch, daß bereits sehr viele, sehr, sehr starke Männer mit ihr gekämpft hatten, und man wußte auch, daß sie alle unterlegen waren. Nicht einer war wieder nach Hause zurückgekehrt. Denn wer ihr im Wettkampf unterlag, den tötete Brünhild, ihn und sein ganzes Gefolge.
Nun hatte sich Gunther also selbst in eine ausweglose Situation manövriert. Was sollte er tun? Wenn er nach Island aufbrach und sich Brünhild stellte, so bedeutete das seinen sicheren Tod.
Am nächsten Tag wandte er sich an Hagen von Tronje und sagte: »Ich habe gestern Unsinn geredet. Läßt sich das irgendwie rückgängig machen?«
»Nein«, sagte Hagen. »Das läßt es sich nicht.«
Seit Siegfrieds grandiosem Kriegsglück hatte sich Hagen aus der Politik am Hof zurückgezogen. Mit etwas bemühter Ironie versuchte er die Dinge zu betrachten.
»Aber es war Unsinn«, sagte Gunther. »Und jeder weiß, daß es Unsinn war!«
Hagen zog die Brauen hoch und sagte: »Oh, ich dachte, ein König redet nie Unsinn.«
»Ich bin da zu weit gegangen«, wand sich Gunther. »Ich gebe zu, es war Prahlerei. Vor dir, Hagen, gebe ich es zu. Ich war betrunken. Was soll ich tun? Kann ich denn nicht mein Wort zurücknehmen? Kann ich denn nicht sagen, ich habe da meinen Mund zu voll genommen? Soll ich denn tatsächlich nach Island aufbrechen und dort auf fremdem Boden sterben? Soll ich erschlagen werden von einer Frau?«
Hagen sagte: »Ich bin nicht der Mann, Euch Vorschläge zu machen. Ich bin Euer Lehnsmann, Euer Untertan, Ihr seid mein Lehnsherr.«
Gunther flehte: »Du hast mich doch immer beraten, du hast mich immer gut beraten. Laß mich jetzt nicht im Stich!«
Hagen: »Nun habt Ihr eben jemand anderen, der Euch berät.« Er war bockig, er war gekränkt, er wollte gebeten werden.
Aber Gunther war zu niedergeschlagen, um sich auf ein solches Spiel der Eitelkeit einzulassen.
Er wandte sich an Siegfried und sagte: »Ihr habt gehört, was ich beim Fest gesagt habe. Ihr wißt genausogut wie alle anderen auch, daß ich im Überschwang und unüberlegt gesprochen habe. Was soll ich tun?«
»Ihr müßt nach Island fahren«, sagte Siegfried.
»Dann werde ich dort sterben!« rief Gunther.
»Einen anderen Rat kann ich Euch aber nicht geben«, sagte Siegfried. »Wenn Ihr Euer Wort widerruft, dann seid Ihr als König verloren, dann habt Ihr Eure Königswürde weggeschmissen, dann ist sie nichts mehr wert. Niemand will ein Großmaul als König haben. Ihr müßt tun, was Ihr angekündigt habt. Ihr müßt mit Brünhild um ihre Hand kämpfen!«
»Ich will aber nicht sterben«, jammerte Gunther.
Da sagte Siegfried zu ihm: »Habt keine Angst. Ich werde Euch helfen. Ihr werdet Brünhild bekommen! Ich verspreche es Euch. Habt
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