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Die Nibelungen neu erzählt

Die Nibelungen neu erzählt

Titel: Die Nibelungen neu erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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er. »Ich verstehe. Das ist sehr schlau. Ihr wollt Lösegeld von ihnen verlangen, hohes Lösegeld.«
    »Nein«, sagte Siegfried, »ganz im Gegenteil. Wir werden sie erstens leben lassen, und zweitens werden wir kein Lösegeld von ihnen fordern, sondern wir werden sie beschenken. Wir werden sie sogar sehr reich beschenken und werden sie entlassen. In allen Ehren werden wir sie entlassen.«
    Da waren alle fassungslos und dachten sich, jetzt ist er verrückt geworden.
    Siegfried fuhr fort: »Manchmal ist die Zeit für das Harte, und manchmal ist die Zeit für die Milde. Jetzt ist Zeit für die Milde. Wenn wir ihnen das Leben schenken und sie mit Geschenken und in allen Ehren entlassen, dann werden sie uns auf ewig dankbar sein. Dann werden sie unsere Verbündeten sein. Nie wieder werden sie ihre Heere zusammenführen gegen uns. Das ist die beste Verteidigung von Burgund. So können wir unser Reich und die Stadt am besten schützen.«
    Und wieder gelang es Siegfried, die anderen zu überzeugen. Hagen sagte nichts mehr. Aber der Haß in seinem Herzen war besiegelt. Er sah ein: Dieser Siegfried war nicht Wachs in seinen Händen, aus diesem Siegfried konnte er nicht einen Untertan nach seinem Geschmack und seinen Interessen formen.
    So naiv dieser Siegfried auch sein mochte, er wußte doch sehr genau, was er wollte. Er war naiv, aber er war dennoch klug.
    Von nun an wird sich Hagen zurückziehen, verbittert zurückziehen, wenigstens für einige Zeit …

Heiratspläne
     
    Es gab ein großes Fest, eine sieben Tage dauernde Siegesfeier am Hof zu Worms.
    Gunther nahm Siegfried an seine Seite und sagte: »Ihr habt unsere Stadt gerettet, daran besteht kein Zweifel. Siegfried, sagt mir, was Ihr Euch dafür wünscht. Was auch immer es ist, ich werde es Euch erfüllen.«
    Siegfried sagte: »Was ich mir wünsche? Es ist das, was ich von Anfang an wollte: Ich möchte Eure Schwester Kriemhild zur Frau!«
    Da wurde Gunther verlegen. »Ich will mein Bestes tun«, sagte er.
    Er begab sich hinauf in den Turm, erbat sich Einlaß, stammelte und redete um den heißen Brei herum, bis ihn Kriemhild unterbrach.
    »Ich weiß doch, was du mich fragen möchtest«, sagte sie.
    Und zu Gunthers Überraschung brauchte er sie gar nicht zu überreden. Kriemhilds Herz war entflammt für diesen Siegfried, den sie immer wieder vom Fenster aus beobachtet hatte, über den sie die wunderbarsten Geschichten gehört hatte, über seine kindliche Naivität, aber auch über seine Klugheit und Weisheit, über seine Stärke, aber auch über seine Zartheit.
    Längst schon hatte Kriemhild bei sich gedacht: Na gut, ich habe diesen Schwur ja nur mir gegenüber geleistet, nicht bei Gott geschworen habe ich oder beim Leben meiner Brüder, ich habe mir selbst gegenüber diesen Schwur geleistet, da kann man durchaus ein bißchen großzügiger sein.
    Kurz: Kriemhild stimmte zu. Sie nahm die Hand, die Siegfried ihr reichte.
    Es war Gunthers Aufgabe, die Aufgabe des Königs, bekanntzugeben, daß seine Schwester Kriemhild heiraten wollte.
    Wir sagten es bereits: Dieser Gunther, der sich von Hagen immer gedemütigt gefühlt hatte, bei Siegfried war es genau umgekehrt, in seiner Gegenwart fühlte er sich erhoben, fühlte er sich größer, stärker, klüger und auch entscheidungskräftiger.
    Als er nun bekanntgeben sollte, daß Siegfried seine Schwester Kriemhild heiraten wird, da ließ er sich hinreißen – ja, er ließ sich hinreißen von seiner Begeisterung, vielleicht hatte er auch zuviel getrunken, er verkündete: »Hört her! Hört her! Es wird eine Doppelhochzeit werden!«
    Da war es still.
    Und Kriemhild fragte ihren Bruder: »Wer wird denn außerdem heiraten?«
    Und Gunther, noch in diesem wohligen Hochgefühl der Omnipotenz: »Ich!« rief er. »Ich werde heiraten, ich, der König.«
    Stille. Verlegene Stille.
    Und dann wieder Kriemhild: »Und wen? Wen wirst du heiraten, Gunther?«
    Und Gunther, nun selbst überrascht, streicht sich über die Stirn, ihm ist, als sei er eben erwacht, und er spricht aus, was ihm so schnell, so ganz und gar nicht als Vorsatz gereift, was ihm als Unfug in den Sinn gekommen war: »Brünhild von Island!«
    Absolute Stille.
    Die Blicke senken sich.
    Lange, absolute Stille. Entsetzen in den Gesichtern.
    Gunther wird blaß, er hat sich hinreißen lassen, er ist zu weit gegangen, hat die Kontrolle über sich verloren. Er wendet sich von der Tafel ab, verläßt die Gesellschaft, verschwindet in seinen Gemächern. Läßt sich nicht mehr

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