Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
hatte. Sie stand vor dem Nichts. Ihr Leben war zerstört. Sie wusste nicht, ob sie sich wünschen sollte, dass der Chevalier einfach abreiste, ohne das Angebot des Königs zu akzeptieren.
Dann blieben ihr nur die Armenhäuser von Paris. Den Gedanken, zurück nach Trou-sur-Laynne zu gehen, verwarf sie im selben Moment, als er ihr gekommen war. Dem Spott und Hohn dort würde sie sich nicht aussetzen. Diese Perspektive war nicht besser, als auf den Straßen von Paris zu betteln. Oder ihren Körper zu verkaufen.
Sie schlang die Arme um sich und rollte sich auf die Seite. Der Gedanke, den Chevalier de Rossac zu heiraten, ließ jeden Nerv in ihr erstarren. Er würde dafür sorgen, dass sie für ihre Scharade bezahlte, das stand außer Zweifel. Kein Mann, der die Möglichkeit bekam, eine derartige Demütigung zu vergelten, würde sie nutzlos verstreichen lassen. Sie hatte die Kälte und Verachtung in seinen Augen gelesen.
Als ihr Ehemann besaß er alle Rechte über sie, und niemanden würde es kümmern, wenn er ihr in finsterer Nacht die Kehle durchschnitt oder sie in einem Verlies an die feuchten Wände kettete. Die Tränen, die über ihre Wangen rannen und im Kopfkissen versickerten, waren diesmal so echt wie ihre Verzweiflung.
»Ich will sie nicht heiraten«, sagte Tristan de Rossac zum vermutlich hundertsten Mal.
»Das hättest du dir früher überlegen sollen, mon cher«, erwiderte Henri de Mariasse gelassen und schob sich eine Scheibe Schinken in den Mund. Er saß in einem rotseidenen, mit goldenen Drachen bestickten Morgenrock à la chinoise vor dem reichlich gedeckten Frühstückstisch in seinem Appartement. »Deinen bruchstückhaften Erzählungen nach hast du dich selbst in diese Lage manövriert.«
Er nahm einen Teller mit Butter und bestrich ein Brioche damit. Sein Frühstück war ihm heilig und kein Grund wichtig genug, es zu unterbrechen oder ihm nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken. Er deutete mit dem Messer auf den Krug mit der Milch. »Trink einen Becher heiße Schokolade, Tris. Nichts wärmt Herz und Seele an einem deprimierenden Morgen besser.«
Tris hörte auf, im Zimmer herumzuwandern, und setzte sich Henri gegenüber. »Allein der Gedanke, ich muss sie jeden Morgen sehen, verwandelt meine Eingeweide in Eis.«
»Du bist viel zu romantisch, Tris. Kein Mensch verlangt von dir, mit deiner Frau zu frühstücken. Du musst weder mit ihr reden noch sie ansehen, noch überhaupt mit ihr zusammentreffen. La Mimosa befindet sich zwar in einem beklagenswerten Zustand, aber es ist groß genug, damit du dich nicht übermäßig anstrengen musst, eine Begegnung zu vermeiden. Ehen werden heutzutage von Advokaten geschlossen, nicht von Amor und seinen schlitzohrigen Kumpanen.«
»Du hast leicht reden. Um dich geht es ja nicht.« Tris nahm sich ebenfalls ein Brioche und griff nach dem Glas mit der Himbeermarmelade. »Und du weißt auch nicht ...«
»Himmel, ich will es gar nicht wissen. Mir reichten schon die Blicke, die du mit der Demoiselle getauscht hast. Ein wahres Wunder, dass die Möbel im Saal nicht in Flammen aufgegangen sind. Und als du dich in bester Laune im Sonntagsstaat mit stolzgeschwellter Brust zu Madame Dessante aufgemacht hast, war ich selbst ohne deine Bestätigung fest davon überzeugt, dass du dich mit ihr triffst. Dem Zustand nach zu schließen, in dem ich dich am nächsten Morgen in deinen Gemächern angetroffen habe, sind die Dinge allerdings nicht ganz so verlaufen, wie du es dir ausgemalt hast.«
»Das kann man wohl sagen«, murmelte Tris.
Henri hob die Augenbrauen. »Ich nehme an, sie hat dich reingelegt, und dein ach so männliches Ego ist geknickt. Traurig, aber kein Grund, die Augen vor den brutalen Tatsachen des noch viel brutaleren Lebens zu verschließen.« Er beugte sich vor. »Keine einzige von den Familien, denen ich dich vorgestellt und als den idealen Schwiegersohn angepriesen habe, möchte dem Gedanken näher treten, dich als Gatten für eine ihrer entzückenden Töchter zu akzeptieren. Dein Titel reicht nicht aus, um hier irgendjemanden zu beeindrucken. Alle, die genug Geld besitzen, um dir aus der Bredouille zu helfen, geben ihre Tochter nur gegen ein Grafenwappen oder einen Herzogshut heraus. Ganz abgesehen davon, dass du das vielleicht vorhandene Wohlwollen mit deinem Herumscharwenzeln um das Liebchen des Königs vollständig verspielt hast. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist deine Mission gescheitert. Ich kann dir nicht zu einer reichen Ehefrau verhelfen, so
Weitere Kostenlose Bücher