Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
schlenderte zu den offenen Gartentüren. Die Luft im Raum erschien ihr heiß und stickig, aber vielleicht hatte sie auch nur zu viel Wein getrunken, um ihre Langeweile zu bekämpfen. Sie fächelte sich hektisch zu.
»Was für ein furchtbarer Schnösel«, sagte sie zu Tris, der ihr gefolgt war.
»Ein allseits hofierter Neffe des Königs. Jeder verbiegt sich das Rückgrat, um ihm gefällig zu sein. Warum sollte er sich um gutes Benehmen bemühen?«
»Seine Worte ließen mich beinahe glauben, dass er mir in deinem Beisein Avancen macht.«
»Das hat er auch. Er setzte praktisch voraus, dass ich dich heute zu seiner Suite begleite und euch viel Spaß wünsche, ehe ich mich demütig zurückziehe«, sagte Tris und zog die Dose mit den Veilchenpastillen aus der Hose. »Das musst du doch in Versailles oft genug miterlebt haben. Der sicherste Weg, dass ein Höfling Karriere macht. Oder ein Mann von niedrigem Adel seine Aussichten verbessert.«
Marie griff sich an den Hals. »Nein, das habe ich nie bemerkt.« Sie hielt inne. »Du ... wirst doch nicht tun, was er ... erwartet?«
Er sah sie einem Augenblick lang unverwandt an. »Nur, wenn du es möchtest.«
Sie kam nicht dazu zu antworten, denn plötzlich stand Saint-Croix neben ihnen. »Auf der einen Seite bin ich von Mariasses Darbietung natürlich beeindruckt«, teilte er ihnen ungefragt mit, und Marie machte instinktiv einen Schritt von ihm weg. »Auf der anderen Seite finde ich es eine Zumutung, mit diesem sabbernden crétin an einem Tisch zu sitzen, selbst wenn er mit Mariasses Schwester verheiratet ist. Wenn man eine solche Kreatur nicht schon nach der Geburt ertränkt, dann gehört sie für den Rest ihres Lebens von zivilisierten Menschen ferngehalten.« Seine Mundwinkel zogen sich abfällig nach unten. »Vor allem so empfindsamen Geschöpfen wie Euch, Madame de Rossac, sollte ein derart Ekel erregender Anblick erspart bleiben.«
Marie griff nach der Hand ihres Mannes. An Tris' Schläfe pulsierte eine Ader, und seine Brauen hatten sich zusammengezogen.
»Ihr solltet nur Schönheit erblicken«, fuhr der Comte unbekümmert fort und ließ seine Augen über Maries Brüste schweifen. »Wollen wir tanzen, ma chère amie?« »Ich habe nichts dagegen, mit einem crétin am Tisch zu sitzen, der sich zu benehmen weiß, Comte, aber ich werde nicht mit einem degenerierten Rüpel ohne Manieren tanzen, selbst wenn in seinen Adern königliches Blut fließt.« Sie hatte nicht übermäßig laut gesprochen, jedoch auch nicht geflüstert. In ihrer Erregung hatte sie übersehen, dass sich um sie herum einige Gäste versammelt hatten, die den Neffen des Königs genauer in Augenschein nehmen wollten und jetzt interessiert den beginnenden Disput verfolgten.
Das Gesicht des Comte rötete sich. »Wer glaubt Ihr, dass Ihr seid, um so mit mir zu sprechen?«
Marie hob stolz den Kopf. »Ich weiß, wer ich bin. Könnt Ihr dasselbe von Euch behaupten?«
»Bei Gott, ich werde dir sagen, was du bist, du kleine ...«
Tris legte die Hand flach auf die Brust des Comte. »Sprecht weiter, und wir sehen uns im Morgengrauen. Hier hat das Wort Ehre noch eine Bedeutung«, zischte er scharf.
Der Comte wich einen Schritt zurück. »Das wird Euch noch leidtun, Rossac.«
»Nein, es tut mir schon jetzt leid. Wenn es nach mir ginge, würden wir die Sache sofort mit den Fäusten austragen. Ungeziefer wie Ihr ist keine Kugel und keinen guten Degen wert. Allerdings möchte ich unseren Gastgeber nicht in Verlegenheit bringen. Aber seht Euch vor, dass wir uns nicht plötzlich alleine gegenüberstehen. Dann könnte ich meine Kinderstube vergessen.« Seine Stimme zitterte vor Hass und sein ganzer Körper war angespannt, als wartete er nur auf ein Wort, um dem Mann an die Kehle zu gehen.
Der Comte sah ihn starr an, dann drehte er sich um und bahnte sich ohne ein Wort den Weg durch die Menge zu den Portalen der Galerie.
Marie, die Tris' Hand umklammert hielt, wagte nicht zu atmen. Sie spürte die brodelnde Wut in ihm, erinnerte sich an das, was er über sein aufbrausendes Temperament gesagt hatte, und hoffte, dass er sich ebenso schnell beruhigen würde, wie er sich in Rage gebracht hatte. Doch seine Haltung entspannte sich nicht.
Seine freie Hand war noch immer zur Faust geballt. Sie bemerkte die Blicke der Umstehenden, zauberte ein entschuldigendes Lächeln auf ihre Lippen und zog ihn auf die Freitreppe, die zum hell erleuchteten Park hinunterführte.
»Es ist gut, Tris«, murmelte sie beschwichtigend und
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