Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
begnadigen? Woher willst du wissen, dass er überhaupt mit dir spricht?«
»Ich weiß es eben«, entgegnete Marie und ignorierte großzügig die Tatsache, dass sie von Versailles verwiesen worden war. Hochmütig warf sie den Kopf in den Nacken, ehe sie fortfuhr. »Ich kenne genug einflussreiche Persönlichkeiten, die mir behilflich sein werden. Ich hätte schon viel früher darauf kommen sollen.«
Troy musterte sie mit gerunzelter Stirn. Er hatte die Flasche Wein, die auf dem Tisch stand, nahezu alleine geleert. Wie an allen Abenden, an denen Tris beim Abendessen fehlte. »Ich nehme nicht an, dass ich dich von dieser Idee abbringen kann.«
»Richtig. Alles ist besser, als tatenlos hier herumsitzen.«
»Soll ich dich begleiten?« Seine Stimme verriet keinerlei Begeisterung.
»Nein. Du bist auf La Mimosa unentbehrlich. Ich nehme Fanette mit und Nicolas, für alle Fälle. Ich habe nicht die Absicht, länger zu bleiben als unbedingt nötig.« Jetzt kam der Punkt, den sie gerne unerwähnt gelassen hätte. »Ich brauche Geld.«
»Natürlich brauchst du das, wenn du nach Versailles gehst.« Er zog die Weinflasche zu sich.
Erleichtert strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Dann brauchen wir darüber nicht zu diskutieren. Ich reise morgen früh. Wenn du mir bitte tausend Livres geben würdest.«
Er füllte sein Glas mit dem letzten Rest Wein. »Ich dachte an Geld, nicht an ein Vermögen.«
»Es geht um deinen Bruder, Troy«, sagte Marie eindringlich und beugte sich vor. »Ich muss eine Unterkunft im Schloss bezahlen, ein paar neue Kleider kaufen und den Lakaien Geld zustecken, um an Informationen zu kommen.«
»Ich habe in meinem ganzen Leben keine tausend Livres auf einem Fleck gesehen.«
»Weißt du nicht, wo Tris die Schlüssel zu seiner Truhe aufbewahrt?«, fragte Marie mit einem Anflug von Panik. Ohne Geld konnte sie ihren Plan vergessen.
»Doch, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, diese Truhe zu öffnen.«
»Es ist ein Notfall. Wir müssen etwas tun, um das Leben deines Bruders zu retten. Du kannst jetzt nicht anfangen, um ein paar elende Münzen zu feilschen.«
Er schwieg einen Moment, dann schob er seinen Teller weg und stand auf. »Komm mit, wenn so viel Geld da ist, dann sollst du es haben.«
Sie folgte ihm beklommen in Tris' Arbeitszimmer, wo die Truhe mit dem Geld stand. Nachdem er den Schlüssel aus der Lade des Sekretärs genommen hatte, öffnete er sie und holte zwei Lederbeutel heraus. »Hier, tausend Livres.«
Marie nahm sie und presste sie an ihre Brust. Sein Schweigen erhöhte ihre Unsicherheit. »Danke.«
Er zuckte die Schultern. »Für mich war Geld noch nie wichtig.«
Sie nickte, weil sie nicht wusste, welche Antwort er darauf erwartete.
»Für manche stellen tausend Livres allerdings einen guten Grund dar, seine Loyalitäten zu überdenken.«
Jetzt verstand sie. »Ich habe nicht vor, mit dem Geld auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Mir liegt etwas an deinem Bruder«, entgegnete sie scharf.
»Gut, dann ist ja alles gesagt.« Er wirkte unpersönlicher, als sie ihn je erlebt hatte.
»Willst du mir nicht Glück wünschen?«
»Ja, ich will dir Glück wünschen. Nicht nur dir, uns allen.«
24
Am nächsten Vormittag machte sich die kleine Gruppe auf die Reise. Fanette saß neben Marie in der Kutsche. Sie hatte die Entscheidung ohne Gefühlsregung aufgenommen und in wenigen Stunden alles Nötige zusammengepackt. Nicolas hockte auf dem Kutschbock. Er hatte La Mimosa mit spürbarem Widerwillen verlassen. Der Name Versailles besaß für ihn keinen Glanz und keine Anziehungskraft. Seine Wurzeln lagen hier.
Marie hatte Anweisung gegeben, dass sie an den Poststellen nur die Pferde wechselten, aber nicht übernachteten, sondern bis zu ihrem Ziel durchfuhren. Obwohl zum Zeitpunkt ihrer Abreise noch immer keine Nachricht wegen der Gerichtsverhandlung gekommen war, wollte sie keinen Tag verschenken. Je eher sie wieder zurückkam, desto besser standen die Chancen für Tris. Sie wagte sich nicht vorzustellen, dass das Tribunal in ihrer Abwesenheit stattfinden und ihn verurteilen könnte. Oder dass er in seiner Zelle an Hunger und Entbehrungen starb.
Fünf Tage nach ihrer Abreise schleppte Nicolas die Truhen über eine schmale Treppe in eine winzige Kammer im Ostflügel des Schlosses. Sie war noch enger als die Unterkunft, die sie bei ihrem ersten Aufenthalt mit der Marquise de Solange bewohnt hatte. Aber dafür hatte Marie kein Auge. Sie fiel auf das Bett und schlief
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