Die Noete des wahren Polizisten
vorzugsweise auf dem Land, in das man glühende Kohle füllte, anschließend große Stücke Ziegenfleisch, darauf eine Schicht Erde und zuoberst erneut glühende Kohle; die Fleischstücke würden, so Amalfitano, in Blätter eines tausendjährigen Baums gewickelt, an dessen Name er sich nicht erinnerte. Oder in Aluminiumfolie.
In den letzten Tagen in Barcelona blieb Amalfitano stundenlang am Schreibtisch sitzen, wo er zu arbeiten schien, in Wirklichkeit aber nichts tat. Er dachte an Padilla, an seine Tochter, an seine tote Frau, an Szenen aus seiner Kindheit und Jugend. Rosa dagegen hielt es nicht im Haus, als hätte gerade jetzt, wo sie Barcelona verlassen sollte, ein unbezähmbares Verlangen von ihr Besitz ergriffen, durch die Straßen der Stadt zu laufen, jeden Winkel kennenzulernen und sich einzuprägen. Meist zog sie allein los, aber ab und zu begleitete sie, schweigsam und zurückhaltend, Jordi Carrera. Amalfitano hörte ihn ankommen, und nach einer kurzen Pause, in der scheinbar nichts passierte, hörte er sie fortgehen, und in diesen Momenten bereute er es am meisten, dass er Barcelona verlassen musste. Er blieb dann, ohne allerdings Licht zu machen, bis ein oder zwei Uhr wach, die Zeit, zu der Rosa gewöhnlich nach Hause kam.
Amalfitano hielt Jordi für einen schüchternen, etwas steifen Jungen. Rosa mochte seine schweigsame Art, die sie mit Nachdenklichkeit verwechselte, wo sie doch nur Ausdruck der Verwirrung war, die in seinem Kopf rumorte. Jeder Tag, der verstrich, war für beide ein Signal, Ankündigung kommender Ereignisse und Entdeckungen; Rosa vermutete, der Umzug nach Mexiko werde das Ende ihrer Jugend markieren; Jordi ahnte, dass ihm diese Tage in naher Zukunft Qualen verursachen würden, und wusste nicht, wie er das verhindern konnte.
An einem Abend gingen sie in ein Konzert; an einem anderen in eine Diskothek, wo sie lange wie Fremde miteinander tanzten.
8
Wer kam zum Flughafen? Die Carreras und, eine halbe Stunde vor Abflug, Padilla und der Dichter Pere Girau. Jordi und Rosa verabschiedeten sich stumm. Die Carreras und Amalfitano traditionell, Umarmung und viel Glück, schreib mal. Antoni Carrera kannte den Dichter Pere Girau vom Hörensagen, grüßte aber höflich. Anna Carrera dagegen fragte ihn, ob er etwas veröffentlicht habe, und wenn ja, wo man das kaufen könne. Jordi sah seine Mutter ungläubig an. Du liest doch gar keine Gedichte, sagte er. Rosa, die neben Jordi stehend viel kleiner wirkte, als sie es war, sagte: Es ist nie zu spät, damit anzufangen, allerdings würde ich zum Einstieg etwas Klassischeres und Solideres wählen. Was zum Beispiel, fragte der Dichter Pere Girau, der neben Jordi noch um einiges kleiner wirkte (sogar kleiner als Rosa) und den das Wort »solide« verletzt hatte. Padilla verdrehte die Augen zum Himmel. Amalfitano tat, als läse er mit Interesse das Kleingedruckte seiner Bordkarte. Catull, sagte Rosa, der ist kurz und lustig. Ach, Catull, sagte Anna, den habe ich vor Ewigkeiten gelesen, ich glaube, an der Uni, war es nicht dort? Ja, sagte Antoni Carrera, natürlich haben wir Catull gelesen. Siehst du, sagte Anna zu ihrem Sohn, wohl habe ich Gedichte gelesen. Jordi zuckte mit den Schultern, aber das ist ewig her, bestimmt erinnerst du dich nicht mehr. Ich habe noch nichts veröffentlicht, sagte lächelnd der Dichter Pere Girau, in diesem Jahr allerdings erscheint ein Gedichtband von mir bei dem neuen Verlag Cavall amb Barretina. Und Sie schreiben auch Gedichte?, wandte sich Anna an Padilla. Ja, Señora, aber auf Spanisch, weshalb es mir schwerfiele, bei Cavall amb Barretina unterzukommen. Es gibt auch andere Verlage, in denen man veröffentlichen kann, dachte ich zumindest, was meinst du, Antoni? Natürlich gibt es andere Verlage, sagte Antoni Carrera und versuchte ihr mit Blicken zu erklären, wer Padilla war. Sind alle deine Studenten Dichter?, fragte Rosa. Amalfitano lächelte, ohne sie anzuschauen. Nicht alle, sagte er. Jordi dachte: Ich sollte Rosa vorschlagen, etwas trinken zu gehen, ich sollte allein mit ihr sprechen, ich sollte sie zum Zeitungsstand mitnehmen und ihr etwas sagen, irgendwas. Ach, das sind Studenten von dir, sagte Anna, die endlich begriff, wen sie vor sich hatte. Ja, sagte Amalfitano und lächelte dann: Exstudenten. Gehen wir etwas trinken?, fragte Jordi. Nach kurzem Zögern sagte Rosa nein, dafür sei keine Zeit mehr. Dafür ist wirklich keine Zeit mehr, sagten die Carreras und Amalfitano. Ja, stimmt, sagte Jordi. Amalfitano war
Weitere Kostenlose Bücher