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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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mich dich küssen, Dummerchen. Natürlich, sagte Jordi und beugte sich linkisch zu ihr herunter, und sie küssten sich auf beide Wangen. Die von Jordi brannten, als hätte er Fieber, Rosas waren warm und rochen nach Lavendel. Auch Anna küsste Rosa und Amalfitano. Am Ende umarmten und küssten sich alle, sogar der Dichter Pere Girau und Anna Carrera, die ja nirgendwohin fuhren. Als sie in der Schlange zum Einsteigen standen, hob Amalfitano die Hand und sagte zum letzten Mal Lebwohl. Rosa drehte sich nicht um. Daraufhin liefen die Carreras und der Dichter Pere Girau in aller Eile zur Aussichtsplattform hinauf, konnten das Flugzeug der Amalfitanos aber nicht entdecken, und nach einer Weile, weil sie nichts zu sagen wussten, ging jede Gruppe ihrer Wege.

9
     
Wie nah ging Amalfitanos Abreise den Carreras?
     
    Anfangs waren beide zu sehr mit ihrer jeweiligen Arbeit beschäftigt, und in gewisser Weise bot Amalfitanos Fortgang, vor allem für Antoni, letztlich auch eine Atempause, aber nach ein paar Monaten, bei einer besonders öden Tischgesellschaft, begannen sie ihn zu vermissen. Langsam wurde ihnen bewusst, dass Amalfitano und seine skurrilen Geschichten gleichsam ein Abbild ihrer eigenen verlorenen Jugend waren. Dachten sie an ihn, dachten sie an sich selbst: junge, mittellose, entschlossene, mutige, großzügige und auf eine vielleicht lächerliche, ohnmächtige Weise würdevolle und vornehme Menschen. Und in dem Maße, wie sie sich über abgelebte Bilder ihrer selbst an Amalfitano erinnerten, hörten sie schließlich auf, an ihn zu denken. In der besten aller möglichen Welten zu Hause, kehrten ihre Gedanken nur selten, etwa wenn ein Brief von Rosa kam, zu dem schwulen Pilger zurück, und dann lachten sie, zufrieden plötzlich, und erinnerten sich seiner mit kurz, aber ehrlich empfundener Zärtlichkeit.
     
Wie nah ging Jordi Carrera die Abreise von Rosa Amalfitano?
     
    Viel näher als seinen Eltern. Bislang hatte Jordi geglaubt, er lebe am Nordpol. Er und seine Freunde und einige Leute, die nicht seine Freunde waren, und andere, die er nicht einmal kannte, aber in Jugendzeitschriften gesehen hatte, lebten harmonisch, wenn auch nicht glücklich, denn das Glück war eine Falle, am Nordpol. Dort spielte er Basketball, lernte Englisch, beherrschte seinen Computer immer besser, kaufte Holzfällerklamotten und ging eifrig ins Kino und auf Konzerte. Seine Eltern zerbrachen sich gemeinsam den Kopf darüber, warum der Junge so wenig emotional war, aber diese fehlende Emotionalität war sein wahres Gesicht. Rosas Abwesenheit änderte alles. Von einem Tag auf den anderen sah sich Jordi mit Höchstgeschwindigkeit auf einer Eisscholle in wärmere Breiten treiben. Der Nordpol geriet in immer weitere Ferne, er wurde immer unwichtiger und seine Eisscholle immer kleiner. Bald litt er unter Schlaflosigkeit und Albträumen.
     
Wie nah ging Padilla Amalfitanos Abreise?
     
    So gut wie gar nicht. Padilla lebte in ständiger Liebesverausgabung und konnte unendlich sentimental sein, aber nie länger als für einen Tag. Auf seine Weise war Padilla ein Wissenschaftler, der Gott nicht die kleinste Gelegenheit gab, einen Fuß in sein Labor zu setzen. Mit Burroughs glaubte er, Liebe sei lediglich eine Mischung aus Sentimentalität und Sex, und er fand sie überall, weshalb er nicht imstande war, sich länger als vierundzwanzig Stunden über einen Verlust zu grämen. Im Grunde war er stark und akzeptierte das Kommen und Gehen des Liebesobjekts mit einem stoischen Gleichmut, den er, so unterschiedlich sie sonst waren, mit seinem Vater teilte. Der Dichter Pere Girau fragte ihn einmal, wie man es hinbekäme, weniger schöne Exemplare zu lieben und zu vögeln, nachdem man einen Adonis geliebt und gevögelt hat, sprich, die potthässlichen Tunten und immer gleichen Gruselstricher. Padilla erwiderte, es sei reine Bequemlichkeit, wenn die Leute schöne Menschen liebten, nicht anders, als würde man von anderen vorgekautes Brot essen, entscheidend seien Geist und Witz einer Person, und er sei imstande, Schönheit noch im Trotten eines Esels zu entdecken. Er und viele andere. Denk nur an die apollinischen Dichter im Frankreich des neunzehnten Jahrhunderts, die nicht genug bekommen konnten von den maghrebinischen Hinterladern, jungen Burschen, für die im Kanon klassischer Schönheit sicher kein Platz wäre. Hinterlader?, na gut, räumte der Dichter Pere Girau ein, aber ich bin schließlich auch apollinisch und würde gern wieder einen lieben, der

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