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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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und Pinakotheken vor, in den Wohnzimmern und Bibliotheken nicht übermäßig reicher Bürger, die lediglich ihre gut ausgestatteten Häuser und Autos und eventuell einige Erdölaktien besaßen, nicht viele, aber genug, stellte sich vor, wie sie in den Zimmern aus und ein gingen, die vollgestopft waren mit Trophäen und Fotografien von Cowboys, dabei jedes Mal aus dem Augenwinkel die an der Wand hängende Leinwand betrachtend. Ein zertifizierter Larry Rivers. Und dann stellte er sich vor, wie er selbst in Castillos fast leerem Atelier herumlief, nackt wie Frank O’Hara, mit einer Tasse Kaffee in der Rechten und einem Glas Whisky in der Linken, Ruhe im Herzen und in Einklang mit sich selbst, vertrauensvoll den Armen seines neuen Geliebten entgegen. Und dieser Vorstellung überlagerten sich erneut die falschen Larry Rivers, über ein ebenes Gelände verstreut, mit großen, weit auseinanderliegenden Häusern und in ihrer Mitte, in geometrischen, künstlichen Gärten, die Kunst, zitternd und zerbrechlich wie eine Fälschung: die chinesischen Reiter von Larry Rivers, unterwegs in einer Landschaft aus weißen, ungestümen Reitern. Verflucht noch mal, dachte Amalfitano erregt, ich bin im Zentrum der Welt. Dort, wo alles wirklich passiert.
    Aber dann kehrte er in die Realität zurück und betrachtete Castillos Gemälde mit Skepsis und konnte sich des Zweifels nicht erwehren: Entweder hatte er vergessen, wie Larry Rivers malte, oder die Kunstkäufer in Texas waren allesamt mit Blindheit geschlagen. Er dachte aber auch an den infamen Tom Castro und überlegte, dass die Authentizität dieser Leinwände vielleicht darin bestand, dass sie nicht genau wie die von Larry Rivers aussahen und gerade dadurch paradoxerweise als Originale durchgehen konnten. Durch einen Akt des Glaubens. Weil die Texaner die Gemälde brauchten und weil der Glaube tröstet.
    Dann stellte er sich Castillo beim Malen vor, mit so viel Elan, so viel Hingabe, ein hübscher Junge, der einfach irgendwo, auf dem Campus der Universität oder wo er sich gerade befand, einschlief und von Mischlingsausstellungen träumte, wo sich das Falsche und das Authentische, das Ernste und Verspielte, das wirkliche Werk und sein Schatten umarmten und gemeinsam in Richtung Zerstörung marschierten. Und er dachte an Castillos lächelnde Augen, an sein Lachen und seine großen weißen Zähne, an seine Hände, die ihm die unbekannte Stadt zeigten, und fühlte sich trotz allem glücklich, beschenkt, und lernte sogar die Camel-Kamele schätzen.

7
     
    Einmal erzählte Amalfitano Castillo, nachdem er mit ihm über das wundersame Wesen der Kunst diskutiert hatte, eine Geschichte, die er in Barcelona gehört hatte. Sie handelte von einem Rekruten der spanischen Blauen Division, die im Zweiten Weltkrieg an der russischen Front gekämpft hat, genauer gesagt bei der Heeresgruppe Nord, in einem Gebiet bei Nowgorod. Der Rekrut war ein kleiner, spindeldürrer Sevillaner mit blauen Augen, den es, wie das Leben so spielt (er war kein Dionisio Ridruejo, nicht einmal ein Tomás Salvador, und wenn der faschistische Gruß verlangt wurde, grüßte er, aber ein richtiger Faschist war er nicht, nicht einmal ein Falangist), nach Russland verschlug. Dort sagte jemand zu ihm: Rekrut, komm her, Rekrut, tu dies oder tu das, und das Wort Rekrut blieb dem Sevillaner im Gedächtnis haften, aber im dunklen Teil des Gedächtnisses, und in diesem großen und trostlosen Gehäuse verwandelte es sich mit der Zeit und den täglichen Schrecken in das Wort Kantor. Mit dem Erfolg, dass der Andalusier sich in Gedanken mit Begriff und Aufgabe eines Kantors identifizierte, obwohl er keine bewusste Kenntnis von der Bedeutung dieses Wortes besaß, das den Chorleiter großer Kirchen bezeichnet. Und irgendwie, vielleicht dadurch, dass er von sich als Kantor dachte, wurde er zu einem: Während der furchtbaren Weihnacht 1941 leitete er den Chor, der fromme Lieder sang, derweil die Russen auf die Männer des 250. Regiments eindroschen. Im übrigen bewies er großen Mut, obwohl ihm die gute Laune mit der Zeit sauer wurde. Nicht lange und er wurde verwundet. Zwei Wochen lag er im Krankenhaus von Riga unter der Obhut stämmiger, lächelnder, über seine Augenfarbe irritierter Krankenschwestern aus dem Reich und einiger freiwilliger, kreuzhässlicher Sanitäterinnen aus Spanien, womöglich Schwestern, Schwägerinnen oder entfernte Kusinen von José Antonio. Nach seiner Entlassung geschah etwas, das gravierende Folgen für den
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