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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Bäume an«, seufzte er, »und Sie werden anfangen, Mexiko zu verstehen.«
    »Wirklich bemerkenswert«, sagte Amalfitano, während er überlegte, was für ein Mensch dieser Guerra war.
    »Hier sehen Sie viele Agave- und Mezquite-Arten, unser vaterländisches Gewächs«, sagte Guerra mit ausgestreckten Händen.
    Amalfitano lauschte dem Gesang eines Vogels: es war ein scharfer Klang, als würde jemand erwürgt.
    »Verschiedene Kakteenarten wie der Felsenkaktus ( Cereus pitahaya monstrosus ), die Orgelkakteen, eine andere Cereus -Art, und die leckeren, saftigen Feigenkakteen.«
    Guerra holte tief Luft.
    Das ist ein Cereus pringlei aus Sonora, reichlich dämmrig, wenn Sie genau hinschauen.«
    »Ja, tatsächlich«, sagte Amalfitano.
    »Dort links, das sind Yuccas, welche Schönheit, welche Demut, nicht wahr? Und hier unser Herr und Meister, Agave atrovirens , woraus wir Pulque gewinnen, ein Gebräu, das Sie probieren sollten, allerdings in Maßen, Sie könnten süchtig werden, Professor, haha, das Leben ist so hart, sehen Sie, wenn wir Mexikaner Pulque exportieren könnten, würden wir es den Whisky-, Cognac- oder Weinproduzenten schon zeigen. Aber unglücklicherweise gärt Pulque zu schnell und lässt sich nicht auf Flaschen ziehen, nichts zu machen.«
    »Ich werde es probieren«, versicherte Amalfitano.
    »Unbedingt, unbedingt«, sagte Guerra, »Sie müssen mal mit mir in eine Pulquería gehen, besser, wenn ich Sie begleite, kommen Sie nicht auf die Idee, allein zu gehen, denken Sie dran, und lassen Sie sich nicht in Versuchung führen.«
    Ein Gärtner mit einem Sack voll Erde kam vorbei und grüßte. Professor Guerra ging jetzt rückwärts. Dort, sagte er, weitere Agave-Arten, die Agave lechuguilla , aus der man Sisal macht, die Agave fourcroydes , aus der Henequen erzeugt wird. Der Weg wand sich hierhin und dorthin. Ab und zu tauchten durchs Geäst ein Stück Himmel und kleine, flinke Wolken auf. Zuweilen suchte Guerra im Schatten etwas: dunkle Augen, die der Professor mit seinen braunen Augen musterte, ohne sich die Mühe zu machen, Amalfitano irgendeine Erklärung zu geben. Ach, sagte er, ach, verstummte dann und betrachtete den botanischen Garten mit einer Miene, die zwischen Verdrießlichkeit und der Gewissheit schwankte, etwas gefunden zu haben.
    Amalfitano erkannte eine Avocado und dachte an die Butterbirnen seiner Kindheit. Wie weit weg bin ich, dachte er zufrieden. Auch: Wie nah bin ich. Der Himmel über ihren Köpfen und über den Baumkronen wirkte ausgestanzt wie ein Puzzle. Manchmal, je nachdem, wie man ihn betrachtete, wurde er zum Spiegel.
    »Da, ein Avocadobaum«, sagte Guerra, »und ein brasilianischer Palisander und ein amerikanischer Mahagoni und zwei, nein, drei Westindische Zedrelen und ein Lignum vitae , und dort der Quebracho, der Sapote und die Guave. Dort am Weg die Yagua-Palme ( Cocos butyracea ) und dort auf der Wiese Amarant, Yambohnen, Baumbegonien und dornige Mimosen ( Mimosa cornigera , plena und asperata ).«
    In den Zweigen bewegte sich etwas.
    »Mögen Sie Botanik, Professor Amalfitano?«
    Von dort, wo er stand, konnte Amalfitano Guerra kaum erkennen. Die Schatten und der Ast eines Baums verdeckten sein Gesicht vollständig.
    »Ich weiß nicht, Professor Guerra, ich bin Laie auf dem Gebiet.«
    »Aber sicher haben Sie einen Sinn für die Gestalten und Erscheinungsformen der Pflanzen, für ihre Anmut, ihre Souveränität, ihre Schönheit?« Die Stimme des Mexikaners vermischte sich mit dem Gesang des erwürgten Vogels.
    »Ja, natürlich.«
    »Das ist gut, das ist immerhin etwas «, hörte er Guerra sagen, der gerade den erlaubten Weg verließ und ins Innere des Botanischen Gartens vordrang.
    Nach kurzem Zögern folgte Amalfitano ihm. Guerra hatte vor einem Baumstamm haltgemacht und pinkelte. In seiner Überraschung war es diesmal Amalfitano, der sich im Schatten hielt, unter den Ästen einer Eiche. Diese Eiche, sagte Guerra, ohne sein Pinkeln zu unterbrechen, sollte hier nicht stehen. Amalfitano schaute nach oben: Er meinte Geräusche zu hören, Pfoten, die über Äste huschten. Folgen Sie mir, befahl Guerra.
    Sie traten auf einen neuen Weg hinaus. Die Nacht brach herein, und die Wolken, die sich vorhin nach Osten zu auflösten, ballten und blähten sich wieder. Das ist eine Oyamel-Fichte, sagte Guerra, vor Amalfitano hergehend, und das dort Tannen. Da steht ein gemeiner Wacholder. Als sie um eine Biegung kamen, sah Amalfitano drei Gärtner, die sich ihrer Arbeitskleidung und

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