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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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bloß offensichtlich, sondern beunruhigend: Konnte es zwischen Delorme, dem man seine sechzig Lenze deutlich ansah, und Antoine Madrid, der sicher noch keine zwanzig zählte, die Verbindung, um nicht zu sagen die Bande, einer »literarischen Schule« geben? Die Gesichter, wenn wir von ihrem selbstbewussten Ausdruck absehen, teilten sich in die offenen (Sabrina Martin, die etwa dreißig sein mochte, und Antoine Madrid, der auch etwas von einem verdrucksten Zuhälter hatte, einer von der Sorte, die sich aus allem raushalten), die verschlossenen (Antoine Dubacq, ein Glatzkopf mit großer Brille, Endvierziger, und die von Kraunitz, die ebenso gut vierzig wie sechzig sein konnte) und die geheimnisvollen (M. Poul, totenkopfähnliches, spindelförmiges Gesicht, Bürstenhaarschnitt, lange, knochige Nase, eng anliegende Ohren, vorspringender, wahrscheinlich hüpfender Adamsapfel, etwa fünfzig, und Delorme, unumstrittener Chef, der André Breton dieser Geschreibselproleten, wie Padilla sich ausdrückte). Ohne die Angaben von Rouberg hätte Amalfitano sie für fortgeschrittene – oder vielleicht eher verbissene – Teilnehmer einer Schreibwerkstatt in irgendeinem Arbeiterviertel gehalten. Aber nein: Sie schrieben seit langem, sie trafen sich regelmäßig, sie folgten beim Schreiben einem gemeinsamen Schema, teilten gewisse Techniken, einen gewissen Stil (der sich Amalfitano nicht erschloss), gewisse Ziele. Die Informationen zu Rouberg entstammten der Nr. 1 des Literatur- und Wirtschaftsanzeigers , in der er, ohne im Impressum genannt zu sein, anscheinend den Posten eines Chefredakteurs bekleidete. Unschwer konnte man sich den alten Rouberg vorstellen, wie er, durch wer weiß welche Fehltritte stigmatisiert, in seinem Exil, und sei es auch nur ein geistiges Exil, im Poitou lebte. Die Zeitschriften stammten natürlich aus Raguenaus Besitz, der monatlich Druckerzeugnisse aus aller Welt erhielt. Auf seine Frage nach den besagten vier Zeitschriften und der kompletten Sammlung des Verlautbarungsorgans der Obsthändler (Nr. 1–5), fügte Padilla hinzu, gestand Raguenau ihm und seinem Neffen Adriá, der seine Bibliothek elektronisch erfasst und dem Padilla an manchen Tagen zur Hand geht, dass er keine dieser Zeitschriften abonniert habe. Wie konnten sie dann in seinen Besitz gelangen? Raguenau erinnerte sich nicht, äußerte aber eine Hypothese: Er könnte sie bei seinem letzten Paris-Besuch antiquarisch oder auf einem Flohmarkt erstanden haben. Padilla gab zu, Raguenau mehrere Stunden einem ziemlich unbarmherzigen Verhör unterzogen zu haben, bevor er sich von seiner Unschuld überzeugen ließ, und dass es wahrscheinlich ihre kitschige Erscheinung war, was ihn an den Zeitschriften angezogen hatte. Gleichwohl schien es mehr als seltsam, dass alle Hefte Informationen über die Barbarischen Literaten enthielten und Raguenau sie zufällig gekauft haben sollte. Padilla äußerte eine andere Hypothese: Raguenau könnte sie an einem zwischen die Tische anderer Zeitschriftenhändler geratenen Stand der Barbarischen Literaten erworben haben. Das Interessante, wirklich Interessante, an der Sache war aber, dass Padilla (welch ein Gedächtnis, dachte Amalfitano immer hellhöriger) schon vorher von Delorme Wind bekommen hatte. Arcimboldi erwähnt ihn in einem alten Interview aus dem Jahr 1971, das 1991 in einer in Barcelona erscheinenden Zeitschrift abgedruckt wurde, und Albert Derville erwähnt ihn in einem Essay über Arcimboldi, der sich in einem der jüngeren französischen Erzählkunst gewidmeten Band findet. In dem Interview verweist Arcimboldi auf »einen gewissen Delorme, Autodidakt und unbeschreiblich, der ganz in meiner Nähe Erzählungen schrieb«.
    Weiter unten erklärt er, dass Delorme in dem Haus, in dem er Anfang der sechziger Jahre wohnte, Portier war. Er spricht von ihm in einem Text, in dem es um Ängste geht. Um Angstzustände, Phobien, Übergriffe, böse Überraschungen etc. Derville nennt ihn in einer Auflistung bizarrer Schriftsteller, die Arcimboldi ihm kurz vor Veröffentlichung von Der Bibliothekar gegeben hatte. Derville schreibt, Arcimboldi habe ihm anvertraut, dass er sich mittlerweile vor Delorme fürchte; er unterstellte ihm, in seiner winzigen Portiersloge satanistische Praktiken, Geisterbeschwörungen und schwarze Messen zu veranstalten, in der Hoffnung, seinen Ausdruck und den Rhythmus seiner Prosa zu verbessern. Und das war alles. Padilla versprach, sich erneut umzuhören und bald Informationen zu schicken. Ob

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