Die Noete des wahren Polizisten
seinem Kämmerchen in der Fakultät und war in zunehmendem Maße belustigt und erschrocken. Einen Moment lang dachte er, Padilla spreche im Ernst, es gebe wirklich eine solche literarische Gruppe und, gruselige Vorstellung, Padilla gehöre ihr an oder sei bereit, mit ihren Interessen zu fraternisieren. Dann verwarf er den Gedanken, nein, eine solche Gruppierung konnte es nicht geben, noch viel weniger die Zeitschriften ( Literatur- und Wirtschaftsanzeiger der Obstgenossenschaft von Poitou !), wahrscheinlich entstammte alles dem Gott der Homosexuellen . Später, nach Beendigung des Unterrichts, dachte er wieder an Padillas Brief und kam zu der Überzeugung: Wenn Delorme und die Barbarischen Literaten Figuren aus Padillas Roman waren, musste es ein sehr schlechtes Buch sein. Als er am Abend mit Castillo und einem von dessen Freunden durch die baumreichste und zugleich dunkelste Avenida von Santa Teresa schlenderte, versuchte er von einem öffentlichen Telefon aus anzurufen. Castillo und der Freund wechselten für Amalfitano an einem Straßenimbiss einen Schein gegen Kleingeld und gaben noch alle Münzen dazu, die sie in den Taschen hatten. Aber in Barcelona ging niemand ans Telefon. Nach einer Weile gab er den Versuch auf und versuchte sich zu einzureden, dass alles in Ordnung sei. Er kam später als gewöhnlich nach Hause. Rosa war wach und schaute in ihrem Zimmer einen Film. Er sagte ihr durch die geschlossene Tür gute Nacht, ging dann in sein Arbeitszimmer und schrieb Padilla einen Brief. Lieber Joan, sagte er, lieber Joan, lieber Joan, lieber Joan, wie sehr du mir fehlst, wie glücklich und unglücklich ich bin, wie wunderbar das Leben, wie geheimnisvoll, wie viele Stimmen können wir im Laufe eines Tages oder Lebens hören, und wie schön ist die Erinnerung an deine Stimme. Etc. Zum Schluss betonte er, wie gut ihm das mit Delorme und den Barbarischen Literaten und den Zeitschriften gefallen habe, dass aber in der Vorstellung, die er sich (vermutlich unbegründeter- und törichterweise) von Der Gott der Homosexuellen gemacht habe, keine französische Schriftstellergruppe vorkäme. Du musst mir mehr von deinem Roman erzählen, sagte er, aber auch von deinem Gesundheitszustand, deiner finanziellen Situation und deiner Gemütsverfassung. Er verabschiedete sich mit der Bitte, er möge nicht aufhören zu schreiben. Er musste nicht lange warten, am folgenden Tag traf ein weiterer Brief von Padilla ein.
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Wie mittlerweile üblich, wartete Padilla Amalfitanos Antwort nicht ab, bevor er einen weiteren Brief schrieb. Als würde ihn, kaum dass er den Brief eingeworfen hatte, ein Ordnungs- und Genauigkeitsfimmel packen und veranlassen, sofort eine Reihe von Erklärungen, Hinweisen, Quellenangaben nachzureichen, die etwas Licht in die bereits abgeschickte Sendung brachten. Diesmal fand Amalfitano sauber gefaltete Kopien von den Titelseiten des Literaturanzeigers , der Literarischen Revue , der Nachtwächterpostille und des Literatur- und Wirtschaftsanzeigers der Obstgenossenschaft . Zudem Kopien der zitierten Artikel sowie der Gedichte und Erzählungen der Barbarischen Literaten, die ihn nach kurzem Überfliegen schaudern ließen: eine Mischung aus Claudel und Maurice Chevalier, aus Krimiplot und den Ergebnissen der ersten Sitzung einer Schreibwerkstatt. Interessanter waren die Fotos (erschienen im Literatur- und Wirtschaftsanzeiger , der übrigens von Profis gedruckt zu werden schien, im Gegensatz zur Literarischen Revue und zum Literaturanzeiger , bei denen die Barbarischen Literaten sicher selbst Hand anlegten, von der Nachtwächterpostille ganz zu schweigen, hektographiert wie in den Sechzigern und voller Streichungen, Tintenflecken und Rechtschreibfehler). Die Gesichter von Delorme und seiner Clique besaßen etwas unmerklich aus dem Rahmen Fallendes, Irritierendes: Erstens schauten sie alle starr in die Kamera und somit Amalfitano oder den Lesern direkt in die Augen; zweitens wirkten alle ohne Ausnahme selbstbewusst und zuversichtlich, vor allem selbstbewusst, meilenweit entfernt von Lächerlichkeit und Selbstzweifel, was bei französischen Schriftstellern, wenn man es recht bedenkt, so unüblich nicht ist, hier aber das gewöhnliche Maß überstieg (vergessen wir nicht, es handelte sich um Liebhaber, obwohl sie vielleicht gerade deshalb, dachte Amalfitano, über ein mögliches Unbehagen oder Schamesröte und dergleichen erhaben und im Limbus der Unschuld zu Hause waren); drittens schien der Altersunterschied nicht
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