Die Noete des wahren Polizisten
Höflingen geworden. Die großen Salons, ihr Helldunkel, ihre Figuren, ihre Spiegel, die dicken Wände, die schweren Vorhänge, alles ist gleichermaßen von einer unbestimmten Krankheit befallen. Der Boden atmet Fieber, die Teppiche scheinen in Auflösung begriffen. In dieser Szenerie mit ihrer zugleich bedrückenden und leichten Atmosphäre bewegen sich die Schwarzen und beobachten aus dem Augenwinkel den Maler, den zukünftigen Betrachter des Bildes, wie unter freiem Himmel. Fontaine glaubt wieder die Geräusche jenes Dorfes zu hören, in das er nie zurückkehren wird, zum ersten Mal zu hören, dabei hat er sie irrtümlich mit den Geräuschen irgendeines anderen afrikanischen Dorfes verwechselt. Jetzt, Tausende Kilometer entfernt, hört und sieht er es zum ersten Mal, und ist im selben Maße entsetzt und verzaubert. Die Bilder sind natürlich verlorengegangen, fügt Fontaine hinzu, nur das alte Laken nicht, das ihn wie ein Sühnezeichen bei jedem Ortswechsel begleitet hat. Nach einem langen Schweigen hört man Chaumonts Stimme, von dem alle geglaubt hatten, er schliefe: Sie sprechen von der Sünde, sagt er. D’Arsonval und Clouzet sind plötzlich ganz aufgeregt und treffen die nötigen Vorkehrungen, um sofort in die Kutsche zu steigen, zu Fontaines Haus zu fahren und sich das außergewöhnliche Gemälde anzuschauen. Pérol ist eingeschlafen, sein Gesicht jetzt friedlich und rein. D’Arsonval und Clouzet nehmen Fontaine in die Mitte und gehen hinaus in den Hof, wo ein Bediensteter bereits die Pferde angespannt hat. Dort im Hof lassen sie sich, während der Morgen dämmert, heiße Milch, Brot, Käse, Wurst servieren. Fontaine steht da, trinkt ein Glas Wein und betrachtet den Himmel. Pfarrer Chaumont gesellt sich zu ihnen. Die Kutsche rollt durch das schlafende Dorf, überquert eine Brücke, fährt in einen Wald. Schließlich kommen sie zum Häuschen von Fontaine: Der nimmt das Leintuch aus einer großen Truhe, breitet es auf dem Bett aus und entfernt sich, ohne hinzuschauen, in Richtung Fenster. Von dort hört er die Ausrufe von D’Arsonval und Clouzet, das Murmeln von Chaumont. Kurz darauf, als sich der Sommer dem Ende zuneigt, stirbt Fontaine. Bei der Auflösung seiner wenigen Habseligkeiten sucht D’Arsonval nach dem Gemälde und findet es nicht.
4
Zwei Romane von Arcimboldi, gelesen in drei Tagen.
Der Bibliothekar (Gallimard 1966, 185 Seiten).
Der Protagonist heißt Jean Marchand. Er ist jung, aus guter Familie und möchte Schriftsteller werden. Er hat ein Manuskript, Der Bibliothekar , an dem er seit geraumer Zeit arbeitet. Ein Verlag, hinter dem man Gallimard erahnen kann, stellt ihn als Lektor ein. Über Nacht sieht sich Marchand unter Hunderten unveröffentlichter Romane begraben. Zunächst beschließt er, sein Buch zurückzustellen. Später beschließt er, seine literarischen Ambitionen aufzugeben (zumindest die Praxis, nicht die Leidenschaft) und sich für die Karriere anderer Schriftsteller einzusetzen. Das Bild, das er von sich hat, ist das eines Arztes in einer Leprastation, das eines Mönchs, der sich einer höheren Sache verschreibt.
Er liest Manuskripte, führt lange Gespräche mit den Autoren, berät sie, ruft sie an, fragt, wie es ihnen geht, leiht ihnen Geld, bald gibt es eine etwa zehnköpfige Gruppe, die er als etwas Eigenes betrachten kann, Werke, in deren Ausarbeitung er einbezogen ist. Einige wenige werden veröffentlicht. Es gibt Feste und Projekte. Die anderen mästen unmerklich die Sammlung unveröffentlichter Manuskripte, die Marchand eifersüchtig in seiner Wohnung hütet. Unter diesen fremden Manuskripten: sein Roman Der Bibliothekar , unvollendet und sauber abgetippt, fein gebunden, eine Schönheit unter zerfledderten, verknitterten, vollgekritzelten, schmutzigen Originalen; ein Manuskript-Weibchen unter Manuskript-Männchen. Marchand träumt, dass die abgelehnten Manuskripte in einer magischen unendlichen Nacht auf jede erdenkliche Weise mit seinem aufgeschobenen Manuskript schlafen: Sie sodomisieren es, vergewaltigen es oral und genital, kommen in seinem Haar, in seinem Hals, in seinen Ohren, unter seinen Achseln etc., aber als der Morgen anbricht, ist sein Manuskript nicht geschwängert, es ist unfruchtbar. Diese Unfruchtbarkeit, glaubt Marchand, macht seinen Wert als singuläres Werk aus, seine Anziehungskraft. Er träumt auch, er sei Chef einer Bande illegaler Erzschürfer, und dass der Berg, den sie bei Mondschein ausbeuten müssen, hohl ist, leer. Sein Ansehen im
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