Die Noete des wahren Polizisten
O’Rourke nicht sehen kann, aber in denen er ein Glitzern von Verblüffung und Angst ahnt; O’Rourkes Blick, erst in den Spiegel (in dem nur die Beine des Unbekannten zu erkennen sind) und dann, als er sich umdreht und sein Gesicht sucht; die Stimmen, die seltsam rein klingen; das Wasser, das in das schadhafte Becken läuft, und die Tropfen, die in den Fugen der Fliesen versickern.
O’Rourkes Suche beschränkt sich auf die beiden Städte und auf das Gespinst der zwischen ihnen verstreuten Farmen. Eine einzelne Stadt, folgert Arcimboldi, ist von Natur aus unermesslich, zwei Städte sind die Unendlichkeit. Auf dieser Unendlichkeit bewegt sich O’Rourke mit der Schlichtheit und Beharrlichkeit des US-Amerikaners. Die sinnlosen Tode (obwohl der Autor mit Hilfe langer Kausalketten zu beweisen versucht, dass alles einen Sinn hat, verborgen und hart wie das Schicksal) folgen aufeinander mit haarsträubender Monotonie. O’Rourkes Nachforschungen führen ihn zu einer Kirche, einem Waisenhaus, einer abgebrannten Farm, einem Bordell. Während der Ermittlungen, die einer Reise gleichen, macht er neue Freunde und Feinde, trifft er vergessene Geliebte wieder, überlebt Mordversuche, tötet selbst, verliert sein Auto, schläft mit seiner Sekretärin. Die Gespräche, die O’Rourke mit Polizisten, Verbrechern, Killern, Nachtwächtern, Tankstellenwärtern, Spitzeln, Prostituierten und Drogenhändlern führt, werden in voller Länge wiedergegeben und drehen sich um die Existenz Gottes, den Fortschritt, die Mathematik, das Leben nach dem Tod, die Lektüre der Bibel, schlechte Frauen und gute Ehepartnerinnen, fliegende Untertassen, die Rolle Christi auf den unbekannten Planeten, die Vorzüge des Lebens auf dem Land gegenüber dem in der Stadt (saubere Luft, Gemüse und frische Milch, tägliche Leibesertüchtigung garantiert), den Zahn der Zeit und die Wunderheilmittel, das geheime Rezept von Coca-Cola, die Entscheidung, Kinder in diese verdrehte Welt zu setzen, die Arbeit als soziales Gut.
Die Suche nach der Erbin kommt, wie zu erwarten war, zu keinem Ende. Die Städte, A und B, werden schließlich ununterscheidbar. Monas Bande versucht, nachdem sie das Lösegeld bekommen hat, zu fliehen, aber etwas Unsagbares (und Ominöses) hält sie zurück. Am Ende lassen sie sich in B nieder, wo sie in einem Vorort einen Nachtclub kaufen. Der Nachtclub wird wie eine Burg oder Festung beschrieben: Von einem Geheimzimmer aus betrachten die Erbin und Chuck die Abenddämmerungen und die Bäume von Oklahoma, endlos. O’Rourke verliert sich in doppelter Hinsicht: in den Städten und in den wichtigen und belanglosen Gesprächen. Gleichwohl hat er gegen Ende der Geschichte einen Traum. Er träumt, dass Monas gesamte Bande eine Treppe hochgeht, Mona vorneweg und Kansas-Jim am Schluss, dazwischen die entführte Erbin, die Chuck um die Hüfte gefasst hat, sie gehen langsam, aber mit festem, entschlossenem Schritt, die Stufen sind aus Holz und ohne Läufer, bis sie zu einem düsteren Gang kommen, den eine gelbliche, von Fliegendreck verklebte Glühbirne schwach erleuchtet. Dort sehen sie eine Tür. Öffnen sie. Erblicken ein Waschbecken für Zwerge. Vor dem winzigen Becken kniet O’Rourke und putzt sich die Zähne. Die Bande bleibt grußlos auf der Schwelle stehen. O’Rourke, noch immer kniend, dreht sich um und schaut sie an. Einige Zeilen später endet der Roman mit ein paar geschwätzigen Weisheiten über Liebe und Reue.
Die Vollkommenheit auf Schienen (Gallimard 1964, 206 Seiten).
Aus neunundneunzig zweiseitigen, scheinbar unverbundenen Dialogen komponierter Roman. Alle Dialoge spielen sich in Zügen ab. Aber nicht alle im selben Zug, nicht einmal zur selben Zeit. Der zeitlich erste Dialog (Seite 101) findet 1899 zwischen einem Pfarrer und dem Angestellten einer Überseehandlung statt; der letzte (Seite 59) zwischen einer jungen Witwe und einem pensionierten Oberst der Kavallerie im Jahr 1957. Der Dialog, mit dem das Buch beginnt, findet 1940 zwischen einem Landschaftsmaler und einem nervlich zerrütteten surrealistischen Maler statt, mutmaßlich in einem Zug auf dem Weg nach Marseilles; der letzte (Seite 205) findet 1930 statt, zwischen einer jungen Frau, die mit zwei Kindern unterwegs ist, und einer kranken alten Frau, die kurz vorm Sterben ist, aber niemals stirbt, unter anderem deshalb, weil dieser wie alle vorangegangenen Dialoge unvermittelt abbricht: Tatsächlich sieht sich der Leser mit Gesprächen konfrontiert, deren Anfänge er
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