Die Noete des wahren Polizisten
und er hörte nur mehr das Murmeln der Sonne, die auf das Pflaster knallte, und die Bäume des Viertels.
Um sechzehn Uhr verließ Rosa erneut das Haus.
Er folgte ihr zu Fuß. Rosa lief zügig denselben Weg wie immer in Richtung Calle Sonora und Avenida Revolución. Sie trug Jeans und einen grauen Sweater. Dazu Stiefeletten mit flachen Absätzen.
11
Der nächste Brief von Padilla war stürmisch. Es fing damit an, dass er sagte, er sei eines Abends betrunken und mit zu viel Tabletten intus in ein Antiquariat in der Calle Aribau getaumelt und habe plötzlich, als hätte ihn das Buch angesprungen, ein altes Exemplar der Grenzenlosen Rose von J.M.G. Arcimboldi in der Hand gehabt, aus dem Französischen übersetzt von Amalfitano. Dein Name auf diesen köstlichen, zerfledderten Seiten!
Arcimboldi, erzählte er, sei in Spanien über Nacht zu einem Kultautor geworden, und man würde oder werde hier nach und nach sein gesamtes Werk herausgeben. Es verginge keine Woche, in der nicht eine Besprechung oder ein Porträt des berühmten französischen Schriftstellers erscheine. Sogar Die grenzenlose Rose – sein dritter oder vierter Roman? –, ein trotz seiner vermeintlich leichten Lesbarkeit schwieriges und trügerisches Werk, das ja stellenweise wirke, als sei es für Schwachsinnige geschrieben, ginge schon in die zweite Auflage, und dabei sei es erst seit einem Monat auf dem Markt. Als Herausgeber der neuen spanischen Ausgabe firmiere ein aus Navarra stammender Autor, der sich über Nacht als Fachmann, der er wohl wirklich war, wie klammheimlich auch immer, für das Werk von Arcimboldi ins Gespräch gebracht hatte. Deine Übersetzung ist mir lieber, sagte Padilla, und jede Seite, die ich wiederlese, weckt in mir ein Bild von dir in jenem stürmischen und von Vorahnungen überschatteten Buenos Aires, wo deine Unschuld triumphiert hat. Hier irrte Padilla erneut, dachte Amalfitano; die Übersetzung war zwar für einen bonaerensischen Verlag bestimmt, angefertigt hatte er sie jedoch, als er in México D.F. lebte. Hätte ich Arcimboldi in Buenos Aires übersetzt, wäre ich jetzt tot.
Natürlich, fuhr Padilla fort, sei er ebenfalls der Arcimboldi-Mode verfallen und habe in einer Woche alle drei ins Spanische übersetzten Romane verschlungen, dazu drei weitere im französischen Original, die er in der Librería Apollinaire in der Calle Córcega ergattert habe, sowie das umstrittene Riquer in der spanischen Fassung von Juli Montaner, ein Kurzroman oder eine Langerzählung, die ihm vorkäme wie eine Art Borges mit Überlänge. Für einige Leute in Barcelona, sagte Padilla, ist Arcimboldi die perfekte Mischung aus Thomas Bernhard und Stevenson (dem alten Robert Louis, was glaubst du denn), ich jedoch sehe ihn eher an der unwahrscheinlichen Schnittstelle von Aloysius Bertrand und Perec und (halt dich fest) Gide und dem Robbe-Grillet von Projekt für eine Revolution in New York . Auf alle Fälle französisch bis in die Arschritze. Schließlich sagte er, dass er allmählich die Nase voll habe vom Klüngel der Arcimboldi-Exegeten, die er mit Eseln auf eine Stufe stellte, Tierchen, für die er stets große Sympathie empfunden habe, wenngleich er neunzehn war, als er seinen ersten aus Fleisch und Blut zu Gesicht bekam, im Barrio de Gracia, bei ein paar Zigeunern, die als Großstadtnomaden in Gesellschaft eines Esels, eines Affen und eines Leierkastens in Barcelona von einem Viertel zum anderen zogen. Im Gegensatz zu Buñuel und Dalí habe ich Platero immer geliebt, vermutlich weil uns Schwuchteln das Andalusische anzieht, schrieb er, und diese Zeilen verletzten Amalfitano zutiefst.
Für ihn war Padilla ein Dichter, ein Intellektueller, ein Kämpfer, ein promisker, selbstbewusster Schwuler, ein lieber Gefährte, aber nie im Leben eine Schwuchtel, ein Begriff, den er mit Feigheit und erzwungener Einsamkeit assoziierte. Aber dann dachte er, ja, Padilla und er waren Schwuchteln, das war so, und fertig.
Traurig dachte Amalfitano, dass er wirklich kein Kenner des Werks von Arcimboldi war, wenn auch der erste, der ihn vor mehr als sechzehn Jahren ins Spanische übersetzt hatte, als fast niemand ihn kannte. Es wäre besser gewesen, ich hätte ihn weiter übersetzt, dachte er, anstatt meine Zeit mit Osman Lins, den Vertretern der konkreten Poesie und meinem Küchenportugiesisch zu vertun, aber selbst da habe ich aufs falsche Pferd gesetzt. Dennoch fiel Amalfitano auf, dass Padilla in seinem langen Brief (so wie sicher sämtliche
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