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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Arcimboldianer in Barcelona) ein wesentliches Merkmal im Werk des Franzosen außer Acht ließ: Denn obwohl alle seine Geschichten, ungeachtet ihres jeweiligen Stils (in dieser Hinsicht verhielt sich Arcimboldi eklektisch und schien sich an die Maxime von De Kooning zu halten: Stil ist Betrug ), Kriminalgeschichten waren, fanden sie ihre Auflösung nie anders als durch Flucht, in einigen Fällen durch (wirkliches oder eingebildetes) Blutvergießen mit anschließenden endlosen Fluchten, als würden Arcimboldis Figuren am Ende des Buches im wahrsten Sinne des Wortes von der letzten Seite springen und weiterfliehen.
    Padillas Brief endete mit zwei Neuigkeiten, der Trennung von seinem bei Seat arbeitenden Freund und dem bevorstehenden – obwohl er nicht sagte, wie nah bevorstehenden – Ende seiner Tätigkeit als Korrektor. Wenn ich weiter Korrektur lese, sagte er, werde ich den Spaß am Lesen verlieren, und das wäre das Ende, stimmt’s? Über Der Gott der Homosexuellen sagte er viel oder wenig, je nachdem: Das Buch ist ein Walzer.
    In seiner Antwort, die ebenso lang ausfiel wie Padillas Brief, verlor sich Amalfitano in Überlegungen zu Arcimboldi, die wenig über das aussagten, worüber er sich eigentlich äußern wollte: über seine seelische Verfassung. Gib die Arbeit als Korrektor nicht auf, sagte er in einem Postskriptum, wenn ich mir dich in Barcelona ohne Geld vorstelle, wird mir Angst. Korrigier und schreib weiter.
    Padillas Antwort ließ etwas auf sich warten und wirkte wie in Trance geschrieben. Aus heiterem Himmel gestand er, dass er Aids habe. Ich bin angeschlagen, sagte er zwischen zwei Scherzen. Im nächsten Moment riet er Amalfitano, sich testen zu lassen. Du könntest es auch haben, sagte er, aber solltest du es haben, schwöre ich dir, dass du es nicht von mir hast. Seit einem Jahr wisse er, dass er HIV-positiv sei. Jetzt ist die Krankheit ausgebrochen, sagte er. Das sei alles. Er werde bald sterben. Im übrigen arbeite er nicht mehr und lebe wieder in der Wohnung seines Vaters, der die Krankheit seines Sohnes ahnte oder erriet. Armer Alter, sagte Padilla, immer hat er seine geliebten Menschen sterben sehen. An dieser Stelle erging er sich in Betrachtungen über geborene Unglücksraben und Pechvögel. Die gute Nachricht sei, dass er den Konditor aus dem Barrio Gracia, Stammgast bei den Feten in seinem Studio nahe der Universität, wiedergetroffen habe. Ohne Gegenleistung zu verlangen, ließ ihm der Konditor, der von Padillas Krankheit wusste, alle zwei Wochen einen, wie er sich ausdrückte, Obolus zukommen. Das reichte nicht aus, um eine Wohnung zu mieten, deckte aber einen Großteil seiner Ausgaben für Bücher, Drogen, ein Zimmer für eine Nacht, Restaurantbesuche im Viertel. Für die Medikamente kam die Krankenversicherung auf. Wie du siehst, das Paradies, sagte er.
    Einen Krankenhausaufenthalt hatte er schon hinter sich, vierzehn Tag in der Abteilung für ansteckende Krankheiten, wo er sich das Zimmer mit drei Junkies teilte, asozialen Burschen, die Schwule hassten, obwohl sie und die Schwulen um die Wette starben. Aber, sagte er, ich habe sie eines Besseren belehrt. Einzelheiten versprach er für den nächsten Brief.
    Über den Gott der Homosexuellen schrieb er, er komme im Schildkrötentempo voran. Der Konditor, Padilla nannte ihn »meinen guten Ragueneau«, ist mein einziger Leser, ein zweifelhaftes Privileg, das ihn glücklich macht. Er habe einen neuen Liebhaber, einen sechzehnjährigen Stricher, HIV-positiv und wunderbar unvernünftig, ach, wer käme ihm gleich, seufzte Padilla, während der Brief in Amalfitanos Händen zitterte. Nicht im Verlag zu arbeiten, sei ein faszinierendes Gefühl, dass er schon verloren zu haben glaubte. Sich noch einmal dem Müßiggang in die Arme zu werfen, ich, der ich zum Urlaubmachen in diese Welt gekommen bin und zu sonst nichts. Zum Urlaubmachen und Unruhestiften gelegentlich.
    Es waren strahlende Tage in Barcelona. Das Mittelmeer schimmerte. Der Brief war an einem Caféhaustisch auf den Ramblas entstanden. Die Leute schlendern vorbei, schrieb Padilla, und ich sitze da, trinke einen doppelten Whisky und bin glücklich.

12
     
    In der Nähe einer außerhalb gelegenen, im Besitz von Don Gabriel Salazar befindlichen Maquiladora, auf einem als Industriegebiet ausgewiesenen Gelände, für das sich bislang keine Investoren gefunden hatten, fand man ein weiteres totes Mädchen.
    Sie war ein Jahr älter als Edelmira Sánchez, siebzehn, hieß Alejandra Rosales und war

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