Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Seshmosis hatte Mühe zu verstehen, was seine Freunde eigentlich meinten.
»GON sei Dank, dass du lebst!«
»Odysseus wähnte dich tot!«
»Wie gut, dass dich die Amazonen vor den schrecklichen Kyklopen gerettet haben!«
»Bist du verletzt?«
»Hast du noch mehr Kyklopen gesehen?«
»Ist Polyphem jetzt blind?«
»Wir dachten, du seiest verloren!«
»Ist der Käse wirklich so gut?«
»Wie hast du es geschafft, dem fürchterlichen Riesen zu entkommen?«
»Wollte er dich auch verschlingen wie die Gefährten des Odysseus?«
Von allen Seiten prasselten Fragen auf Seshmosis nieder. Endlich gelang es ihm, Elimas den Weinschlauch aus der Hand zu schlagen, und er brüllte: »Halt! Was ist eigentlich los mit euch? Seid ihr alle verrückt?«
Almak, der Ochsentreiber, stammelte: »Polyphem, der Riese, hat die Achäer gefressen, Odysseus, der Held, Polyphem geblendet, Männer befreit.«
Der jahrelange ausschließliche Kontakt zu Tieren hatte Spuren in Almaks Sprachfähigkeiten hinterlassen. Normalerweise beschränkte sich sein Wortschatz auf »Vorwärts!«, »Links!«, »Schneller!«, »Rechts!« und »Halt!«. Im Verhältnis dazu war sein Gestammel von eben eine rhetorische Meisterleistung. Immerhin war Seshmosis jetzt klar, dass die Erzählungen des Fürsten von Ithaka erheblich von den wahren Geschehnissen auf der Insel abwichen. Er musste vorsichtig sein. So wie er Odysseus erlebt hatte, würde dieser einen Zeugen, der seine Version der Geschichte in Frage stellte, nicht lange am Leben lassen.
Seshmosis war klar, dass es Odysseus gern gesehen hätte, wenn er nie von der Kyklopeninsel zurückgekehrt wäre. Deshalb beschloss er, vorerst über das Erlebte zu schweigen, und sagte nur: »Danke, liebe Freunde. Ihr versteht sicher, dass ich mich erst einmal erholen muss.«
Seshmosis saß an Bord der Gublas Stolz und beobachtete den Strand. Er fühlte sich an Bord des Schiffes sicherer, vor allem, weil er hier nicht riskierte, Odysseus zu begegnen. Doch der war mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
Seshmosis beobachtete, wie die Achäer in der Nähe ihres Flaggschiffs einen Holzstoß aufschichteten. Obenauf legten sie einen prächtigen Widder. Offensichtlich wollten sie den Göttern ein Opfer darbringen. Schon bald erschien Odysseus in voller Rüstung, gefolgt von seinen Unterführern, und befahl, das Holz in Brand zu setzen.
Schnell züngelten die Flammen empor. Doch zum Entsetzen der Achäer wollte der Rauch nicht zum Himmel steigen, ganz im Gegenteil senkte sich der schwarze Qualm über den Holzstoß und erstickte die Flammen. Die Götter hatten das Opfer verschmäht! Unruhe entstand unter den Kriegern, und Seshmosis hörte vereinzeltes Wehklagen. Der Fürst selbst stand starr und stumm neben dem Opferaltar und zeigte keine Reaktion. Schließlich wandte er sich ab und ging mit gesenktem Kopf davon.
Abends am Lagerfeuer setzte sich Seshmosis wie gewohnt neben Homeros. Der zeigte sich begierig, von den Abenteuern des Schreibers zu hören. Doch dieser war misstrauisch und versuchte zuerst herauszufinden, inwieweit Odysseus den blinden Dichter schon beeinflusst hatte.
»Immerhin hatte ich Recht!«, triumphierte Homeros. »Die Kyklopen sind ein barbarisches, Menschen verschlingendes Volk. Völlig primitiv und kulturlos, ohne jegliche handwerkliche Fähigkeiten und allein durch die Gunst der Götter lebensfähig. Jeder haust für sich allein in einer dreckigen Höhle und fristet ein jämmerliches Dasein.«
Seshmosis kochte innerlich vor Wut. Wegen des Abschieds von Cleite war er sowieso schon betrübt, doch was der Dichter von sich gab, verdarb ihm vollends die Stimmung. Seshmosis setzte schon an, ihn zu korrigieren, doch er brach gleich wieder ab. Wenn er Homeros widerspräche und Odysseus davon Wind bekäme, könnte dies seinen Tod bedeuten. So verzichtete er notgedrungen auf eine Richtigstellung der Geschehnisse und fragte stattdessen: »Wirst du Odysseus' Abenteuer in ein Epos fassen?«
»Ja!«, antwortete Homeros freudig. »Er hat mir sogar schon einen beachtlichen Vorschuss gegeben.«
*
Auch am nächsten Morgen vermied es Seshmosis, Odysseus zu begegnen. Es war der Tag des Aufbruchs, und die Tajarim wollten noch einen Teil der Strecke gemeinsam mit den Achäern segeln, bevor sich ihre Wege trennen sollten.
Die Sonne meinte es gut mit den Reisenden, und auch die Winde waren günstig, sodass sie flott vorankamen. Kurz nach Mittag meldete der Ausguck: »Land in Sicht!«
Seshmosis gesellte sich zu
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