Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Zerberuh und Uartu an den Bug des Schiffs. Vor ihnen lag eine karstige Insel. Bald darauf befand sich die Insel links von ihnen. Zornig eilte Uartu nach hinten zum Steuerruder und brüllte: »Seid ihr betrunken? Ihr könnt ja nicht einmal mehr den Kurs halten!«
Die verdutzten Seeleute überließen Uartu bereitwillig das Steuer, der die Gublas Stolz wieder auf Kurs brachte. Kurz darauf lag die Insel rechts von ihnen. Irritiert schüttelte Uartu den Kopf. Er wusste genau, dass er das Steuer nicht im Geringsten bewegt hatte. Bevor er den Kurs erneut korrigieren konnte, lag die Insel wieder direkt vor ihnen. »Das verdammte Ding bewegt sich!«, rief der Phönizier überrascht.
Doch nun schien die merkwürdige Insel endlich stillzuhalten, und die Gublas Stolz und die zwölf Schiffe des Odysseus konnten anlegen.
Als sie an Land gingen, traf Seshmosis zu seinem Leidwesen auf Odysseus. Der Achäer sah ihm bedrohlich in die Augen, dann fragte er: »Hast du die schrecklichen Ereignisse bei den grauenhaften Kyklopen gut überstanden?«
Seshmosis biss sich auf die Zunge und nickte nur. Dann lenkte er ab: »Mich würde viel mehr interessieren, wo wir uns jetzt befinden.«
»Wir Achäer kennen nur eine schwimmende Insel – Aiolis, die Insel des Windgottes Aiolos.«
Der Fürst von Ithaka warf dem Schreiber noch einen misstrauischen Blick zu, bevor er wieder zu seinen Männern ging und einen Erkundungstrupp zusammenstellte. Seshmosis verspürte derweil ein dringendes menschliches Bedürfnis und sah sich nach einer geeigneten Stelle um. Die ganze Insel war schroff und felsig, kein einziger Baum war weit und breit zu sehen. Endlich entdeckte er einige karge Büsche auf einer kleinen Anhöhe und rannte sofort darauf zu.
Als er wieder zum Strand zurückkehrte, stolperte er. Und fiel in die Finsternis.
Sein Sturz schien nicht enden zu wollen, und vor seinem geistigen Auge sah er seinen zerschmetterten Körper schon auf dem Grund der Höhle liegen. Im Fallen ergriff ihn aber eine Windböe und ließ ihn sanft zu Boden schweben.
Von oben schien durch das Loch, in das er gefallen war, ein wenig Licht in die Höhle. Zu wenig, um ihre Größe abzuschätzen, aber genug, um zu erkennen, dass anscheinend keine wilden Tiere hier hausten.
Ein leichter Luftzug umstrich Seshmosis, und er vermutete, dass irgendwo im Dunkeln ein Ausgang lag. Die Brise zupfte an seiner Kleidung und fuhr ihm durchs Haar. Der Wind fühlte sich an wie etwas Lebendiges. Und etwas sehr Neugieriges. Er schien ihn genau abzutasten und zu erkunden. Als das Lüftlein auch noch unter sein Gewand fuhr, fühlte sich Seshmosis in seiner Intimsphäre verletzt. Das ging ihm doch entschieden zu weit!
»Wer immer du bist, zeig dich!«, rief er verunsichert.
Vor ihm formte sich eine transparente Gestalt. Sie bestand aus nichts anderem als Luft und wurde nur durch die Brechung des Lichts sichtbar. Es war ein junges Mädchen.
Seshmosis errötete vor Scham. Sie hatte ihm unter das Gewand gegriffen. Zwar nur als Windhauch, aber immerhin.
»Ich bin Eidona, die jüngste Tochter des Windgottes Aiolos, und meine Mutter ist Eos, die Göttin der Morgenröte. Ich wollte nur wissen, wer da in meine Wohnung eingedrungen ist.«
»Verzeih, es war keine Absicht. Ich bin gestolpert und gestürzt. Ich bin Seshmosis, ein verirrter Reisender.«
»Ich bringe dich zu meinem Vater. Der kann dir sicher helfen.« Sprach es, und eine Bö hob Seshmosis an wie eine Feder und trug ihn durch die Dunkelheit. Einige Gänge weiter erreichte er eine große, hell erleuchtete Höhle. Dort saßen zwei riesige Gestalten auf gewaltigen Thronen aus Felsgestein. Auch diese beiden schienen kaum Substanz zu haben, obwohl Seshmosis sie gut sehen konnte. Der Mann schillerte in allen Farben des Regenbogens, die Frau bestand aus irisierenden Rottönen. Eindeutig Aiolos und seine Gattin Eos. Ein letzter Windstoß setzte Seshmosis direkt vor den beiden Göttern ab.
»Willkommen in meinem Reich!«, ertönte eine kräftige Stimme.
»Auch ich heiße dich willkommen, Gesegneter!«, begrüßte ihn Eos sanft.
»Und gegrüßt sei dein Herr, der dich zu uns geführt hat«, ergänzte Aiolos und hob dabei seine luftige Hand.
Als Reaktion auf seine Worte blähte sich Seshmosis' Ledersack auf, und es entwich ein kleiner Feuerwirbel. Feurig rot schwebte er neben seinem Propheten und sprach: »Meine Ehrerbietung dir, Aiolos, du unsteter Herrscher der Winde, und deiner kinderreichen Familie.«
»Nur kein Neid, alter Freund«,
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