Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
antwortete der Angesprochene, und die Luft formte sich zu einem Lächeln. »Es ist schön, dich wieder im Spiel der Götter zu wissen. Was können wir für dich tun?«
»Dies hier ist mein treuer Prophet Seshmosis, und er benötigt dringend deine Hilfe. Zu lange schon irrt er über die Meere und Inseln und noch immer ist er seiner Heimat fern.«
»Ich verstehe«, sagte der Windgott und pfiff wie ein Sturm, der durch die Gassen jagt. Bald darauf brauste es in der Höhle von allen Seiten, das Feuer der Fackeln flackerte unruhig, und Seshmosis wurde fast umgeweht.
»Meine ältesten Söhne!«, verkündete Aiolos stolz. »Boreas der Nordwind, Euros der Südostwind, Zephyros der Westwind und Notos der Südwind. Sie sollen deinem Propheten zu Diensten sein!«
Seshmosis war beeindruckt von GONs guten Beziehungen zu Aiolos. Er hatte zwar keine Ahnung, wie die Dienstleistungen funktionieren sollten, aber die Götter würden es schon richten.
Aiolos befahl seinen Söhnen mit dem Blasen aufzuhören, und auf einmal schwebte ein großer, prall gefüllter Lederschlauch mitten in der Höhle.
»Dieser Schlauch ist dicht genäht aus der Haut eines neunjährigen Stieres. In ihm stecken alle Winde, die du für eine glückliche Weiterfahrt brauchst.«
Er verschloss den Windsack mit einer silbernen Schnur, und eine kurze Bö trieb ihn in Seshmosis' Arme.
»Sei eingedenk, dass nur du selbst diese Schnur lösen darfst, um den jeweils richtigen, nützlichen Wind zu befreien!«
»Herzlichen Dank, großer Aiolos! Und Dank auch dir, göttliche Morgenröte, die du den Beginn des Tages verzauberst«, sagte Seshmosis ehrfürchtig und verbeugte sich.
»Eile nun zu deinen Freunden und binde den Sack an den Mast deines Schiffes! Wir wünschen dir eine glückliche Heimkehr.«
Daraufhin erhob sich ein Sturm in der Höhle, der Seshmosis um die eigene Achse wirbelte. Schneller und schneller drehte er sich, und plötzlich stand er wieder auf der Anhöhe neben dem Loch, in das er gestürzt war.
*
Seshmosis wusste nicht, wie lange er in der Höhle des Windgottes gewesen war, aber es musste ziemlich viel Zeit vergangen sein, denn die Gublas Stolz lag einsam am Strand. Von den achäischen Schiffen war bis zum Horizont nichts mehr zu sehen. Freudig stieg Seshmosis mit dem Geschenk des Aiolos die Anhöhe hinunter und ging zu seinen Freunden, die ungeduldig in der Bucht standen.
»Ich habe es satt, ständig auf dich zu warten!«, schnauzte ihn Raffim an. »Mit deinen Extratouren hältst du die ganze Gruppe auf.«
»Ich habe den Windgott getroffen!«, verteidigte sich Seshmosis.
»Papperlapapp! Du immer und deine besondere Verbindung zu den Göttern. Reicht es dir nicht, dass du Prophet von GON bist? Musst du jetzt auch noch andere Götter ins Spiel bringen?«
»Ich habe ihn wirklich getroffen!«, sagte Seshmosis stolz und von den Vorwürfen unbeeindruckt. »Und er gab mir ein Geschenk für uns, das uns schneller nach Hause bringt!«
Triumphierend hielt er den Windsack in die Höhe.
»Mach endlich, dass du an Bord kommst. Wir wollen weiter!«, herrschte ihn Raffim an.
Seshmosis band, wie ihm von Aiolos geheißen, den Windsack in Augenhöhe an den Mast der Gublas Stolz, dann suchte er Nostr'tut-Amus. Er fand den Seher auf dem Vorderdeck, wo dieser besorgt aufs Meer blickte. »Meine Augen sehen drohendes Unheil«, murmelte er wie zu sich selbst.
Seshmosis verspürte keine Lust, sich neuerliche Katastrophenvisionen anzuhören, deshalb fragte er: »Warum ist Odysseus eigentlich so schnell verschwunden?«
»Hast du gedacht, dass der Fürst von Ithaka auf dich wartet?«, antwortete Nostr'tut-Amus mit einer Gegenfrage.
»Wirklich nicht! Ich bin froh, wenn ich ihn nicht sehen muss«, wehrte Seshmosis ab.
»Als Odysseus herausfand, dass es auf der Insel weder Früchte noch Vieh gibt, ist er wieder in See gestochen. Er scheint uns auch nicht mehr besonders wohlgesonnen.«
Ich ihm auch nicht, dachte Seshmosis und beendete das kurze Gespräch: »Wir brauchen seine Hilfe nicht mehr. Das Geschenk des Windgottes wird uns bald nach Hause bringen.«
*
Schon fünf Tage glitt die Gublas Stolz getrieben von günstigen Winden zügig durchs Meer. Nur hin und wieder hatte Seshmosis den Sack aufgeschnürt, um durch einen passenden Wind den Kurs Richtung Lebedus in Kleinasien zu halten, wo sie Homeros und Skamandrios absetzen wollten.
Schon seit der Abfahrt von Aiolis hatte Barsil den Sack am Mast neugierig beäugt. Er vermutete einen
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