Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
der Stadt aus Holz und Tuch auch einige Schmieden befanden.
Seit fast zehn Jahren hausten die Achäer hier, manche auf den an Land gezogenen Schiffen, andere in grob gezimmerten Holzhütten oder Zelten. Die improvisierte Stadt war groß, ungefähr zehntausend Krieger lebten hier mit ihrem Gefolge an Sklaven, Gespielinnen und Dienern. Ein strenger Geruch lag über dem ganzen Lager. Die Versorgung der Massen stand immer am Rande des Zusammenbruchs, und nur die ständig durchgeführten Raubzüge bis nach Thrakien und in die südlichen Teile Kleinasiens erhielten den Nachschub aufrecht. Die Achäer zogen plündernd bis hinunter nach Ephesus, Milet und Halikarnassos. Auch keine der Inseln vom nördlichen Thasos bis hinunter nach Samos im Süden war vor ihnen sicher, wobei sie keinerlei Rücksicht nahmen, ob die Bewohner eigentlich Verbündete waren oder nicht.
Die Tajarim fragten sich bei den Wachen durch, wer für Handelskonzessionen zuständig war, und wurden an einen gewissen Nestor, König von Pylos, verwiesen.
Nestor bewohnte eine der größten Hütten der Kriegerstadt, und die Eingangstür war reich geschmückt. Vor dieser lungerte ein etwa vierzehnjähriger Knabe und sah die Tajarim gelangweilt an.
Da es um Handelsangelegenheiten ging, hatte sich Raffim ausbedungen, das Wort zu führen. Er berief sich dabei auf seine diplomatischen Erfahrungen mit höher gestellten Persönlichkeiten und seine überzeugende körperliche Statur, die seinen Argumenten von Haus aus ein großes Gewicht gab.
»Bring uns zu deinem Herrn, dem ehrwürdigen Nestor!«, befahl Raffim.
»Er ist nicht mein Herr«, antwortete der Knabe blasiert. »Er ist mein Liebhaber.«
»Dann bring uns zu deinem Liebhaber!«, forderte Raffim wütend.
»Ihr seid zu viele. Das schwarze Weib, der Neger und die Geiernase müssen draußen bleiben!« Sprach es und verschwand ins Innere der Hütte.
Kalala atmete hörbar aus. Tafa, der von Raffim zu »Werbezwecken« mit einem wertvollen Eisenschwert ausgerüstet worden war, bot an, den Knaben sofort nach seiner Rückkehr zu züchtigen. Doch Kalala lehnte vorläufig ab. Sie wollte kein Aufsehen erregen.
Als sie Nestors Behausung betraten, staunte Seshmosis über all die Pracht. Der Handel mit Konzessionen schien viel abzuwerfen. Überall glitzerte und glänzte es, und die vielen Truhen enthielten sicher nicht nur Bettwäsche. Die luxuriösen Möbel waren eines Palasts würdig. Zwischen all diesen Kostbarkeiten lagerte ein uralter Mann. Seshmosis musste unwillkürlich an den Minos denken, doch dieser Greis war sicher noch älter.
»Willkommen in meiner bescheidenen Hütte!«, rief Nestor mit brüchiger Stimme. »Was führt euch zu mir?«
»Fürst Odysseus schickt uns«, log Raffim.
»Oh, da sollte ich euch aber von meinem jungen Freund Homophilos besser durchsuchen lassen, ob ihr nicht Nattern bei euch tragt.«
Als er die irritierten Gesichter der Tajarim sah, fügte er hinzu: »Ihr scheint Odysseus doch nicht so gut zu kennen. Vergesst meine Bemerkung. Verratet mir, woher ihr seid und womit ihr handeln wollt.«
Nun waren Raffim, Barsil und Mani in ihrem Element. Seshmosis verlor schnell das Interesse an dem Gespräch und sah sich aufmerksam in der Hütte um. Der Alte hatte wirklich einen immensen Reichtum angehäuft. Während Seshmosis über die Herkunft der einzelnen Stücke rätselte, riss ihn plötzlich ein Wort aus seinen Gedanken, das Nestor während seiner weitschweifigen Ausführungen sagte – »Argo«.
Sofort hörte Seshmosis zu, was der Greis erzählte.
»Ja, ja, damals, als wir auf der Jagd nach dem Goldenen Vlies waren, gab es auch schreckliche Kämpfe. Ich sagte immer zu Jason, so etwas Furchtbares werden wir mit Sicherheit nie wieder erleben. Doch ich hatte mich getäuscht. Dieser Krieg ist noch viel schrecklicher als alles, was ich bisher sah. Und ich habe wahrlich viel gesehen in meinen drei Menschenaltern.«
Die Händler wussten nicht, wovon der Alte sprach, doch Seshmosis kannte die Geschichte von Jason und den Argonauten sehr wohl. Jetzt fiel ihm wieder ein, wo er den Namen Nestor schon einmal gehört hatte. Dieser Nestor war einer der legendären Argonauten, die mit Medea das Goldene Vlies aus Kolchis gestohlen und nach Thessalien gebracht hatten!
»Verzeiht meine Neugier, ehrwürdiger Nestor, doch was ist eigentlich aus Jason geworden?«, fragte Seshmosis.
»Ach, hör mir mit diesem Versager Jason auf. Nach unserer Rückkehr mit dem Goldenen Vlies hat er nur noch Mist gebaut.
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