Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Allerdings nicht mit Waffen. Aber das störte Raffim nicht. Seine »Ankersteine« würden in den Schmieden der Achäer landen, während er andere Kostbarkeiten in seinem Kaufmannsgehirn bereits für die Gegenseite reservierte. Raffim verfügte zum Beispiel über ein treffliches Sortiment von magischen Amuletten, die vor allen Arten von Verwundungen und Krankheiten schützten. Und in der teuersten Ausführung sogar garantiert unsterblich machten. Zumindest eine Zeit lang.
»Ich danke dir für deine Auskünfte. Einen fleißigen Knaben hast du da als Helfer, Mursil«, stellte Raffim beim Abschied fest und beschloss den Faktor »Kinderarbeit« in seine künftigen Kalkulationen einzubeziehen.
*
In Troja herrschte große Freude. Am rückwärtigen Tor, das man das Dardanische Tor nannte, war Verstärkung eingetroffen. Eurypylus aus Pergamon, Anführer der Mysianer, erschien mit einem Heer von mehreren tausend Mann, um die Trojaner zu unterstützen. Nach dem Verlust ihrer Helden Achilleus und Aias würde dies ein weiterer Schlag für die Achäer sein. Vor allem weil Spione gemeldet hatten, dass sich Diomedes und Odysseus derzeit nicht im Lager der Feinde befanden.
Kassandra teilte, wie so oft, die allgemeine Freude nicht. Sie rang in ihrem speziell eingerichteten, pechschwarz ausgemalten Privatgemach um eine Vision. Normalerweise genügte eine kurze Trance, um etwas über das Schicksal einer bestimmten Person zu erfahren. Doch diesmal gestaltete sich der Kontakt zur anderen Welt schwierig, da der Name Eurypylus sowohl für den trojanischen Verbündeten aus Mysien stand als auch für einen der größten Heerführer der Achäer. Verfluchte Namensgleichheit!, dachte sie und versuchte weiter, die verschwommenen Bilder ihres inneren Auges klarer zu erkennen. Doch immer wieder flossen die Eindrücke ineinander. Der Seherin stand der Schweiß auf der Stirn. Dann endlich konnte sie zwei verschiedene Personen voneinander unterscheiden. Sie sah den Schemen des einen Eurypylus mit durchbohrter Kehle in der Ebene vor der Stadt liegen, der Schemen des anderen Eurypylus wanderte wahnsinnig durch einen Olivenhain.
Kassandra wagte nicht zu entscheiden, welches Schicksal das grausamere war. Vielleicht die Gnade des frühen Todes statt ewiger Wahnsinn. Welcher Eurypylus in ihrer Vision auch immer der Freund der Trojaner war, seine Zukunft näherte sich bereits jetzt einem schrecklichen Ende.
*
»Ich weiß, dass ich mit meinen derzeitigen Geschäften gegen die Grundregel Nummer eins des internationalen Waffenhandels verstoße«, gab Raffim zu.
»Und wie lautet die?«, wollte Seshmosis wissen.
»Verkaufe grundsätzlich an beide Kriegsparteien die gleiche Menge Waffen, um den Konflikt möglichst lange aufrechtzuerhalten. Na ja, in unserem Fall muss ich leider die Grundregel Nummer zwei anwenden: Sollte Grundregel Nummer eins wegen der Gefährdung der eigenen Person nicht durchführbar sein, verkaufe alle Waffen an den Kontrahenten, der zur Verfügung steht. Du siehst, Seshmosis, ich handle ganz legal nach internationalem Recht. Krieg hat etwas mit Zivilisation zu tun, da kann man nicht einfach anarchisch nach persönlichen Gefühlen wie Sympathie und Antipathie vorgehen.«
»Ich denke, das grundsätzliche Problem mit dem Waffenhandel ist der Waffen handel . Dir ist also völlig egal, was mit den Trojanern passiert?«
»Nein, das ist mir nicht egal. Aber ich frage einfach nicht danach. Dann beunruhigt es mich auch nicht.«
Damit war für Raffim das Gespräch über die Ethik in Kriegszeiten beendet.
Seshmosis spazierte am Strand entlang und betrachtete die Schiffe und Boote. Die meisten waren aufgebockt. Schlimme Stürme und das lange Liegen hatten ihnen sichtlich nicht gut getan. Da lugte zwischen zwei Booten ein ungewöhnlicher Bug in Form eines Drachen hervor. Seshmosis ging näher darauf zu und erkannte, dass es sich bei diesem Schiff um eine ungewöhnliche Konstruktion handelte. Zumindest, wenn diese ein Schiff werden sollte.
Daneben stand ein Mann inmitten unzähliger umherliegender Holzteile mit einem Stück Papyrus in der Hand und kratzte sich hinter dem Ohr.
Seshmosis fragte den Mann, ob er ihm helfen könne.
Der Mann lächelte erleichtert und hielt Seshmosis das Papyrus entgegen: »Gerne! Ich bin Nautos, kannst du lesen?«
Stolz bejahte Seshmosis und schaute auf das Dokument.
»Es sind Idiotgramme«, fügte Nautos hilfreich hinzu.
»Du meinst wohl Ideogramme«, verbesserte ihn Seshmosis und
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