Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Zuerst hat er die Sache mit Medea vermasselt und dann die Königswürde von Korinth in den Sand gesetzt. Das Letzte, was ich von Jason hörte, war, dass er auf einer der kleinen Inseln vegetiert, bettelnd auf den Türschwellen der Bauern sitzt und den Hunden das Brot stiehlt.«
So enden also Helden, wenn sie nicht jung sterben, dachte sich Seshmosis. Der eine zum Bettler verkommen, der andere als raffgieriger Makler und Kinderschänder.
Der Schreiber wollte noch nach einem weiteren Argonauten fragen, dem berühmten Sänger Orpheus, doch Nestor feilschte schon wieder mit Raffim um Prozente und Beteiligungen. Kurz darauf waren die Verhandlungen beendet, und Seshmosis erkannte am Grinsen des Dicken, dass das Übereinkommen mit dem legendären Greis zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war.
Von Homophilos angeführt, verließen sie wieder die Hütte. Aus scheinbar unerklärlichen Gründen stürzte der Knabe beim Hinausgehen, und unglücklicherweise trat Tafa dem auf dem Boden liegenden auch noch »aus Versehen« auf die Hand.
»Wie ungeschickt von mir! Verzeih!«, sagte Tafa scheinheilig und half dem Jungen wieder auf die Beine, nicht ohne ihm dabei den Arm zu quetschen. Schließlich warf ihm der Nubier noch einen warnenden Blick zu, der Homophilos dazu veranlasste, die Wörter »Weib«, »Neger« und »Geiernase« aus seinem künftigen Wortschatz zu streichen.
Kalala wollte unbedingt noch dem Heerführer der Achäer, König Agamemnon von Mykene, ihre Aufwartung machen. Vor dem prächtigen Zelt des Fürsten hieß man sie warten.
Während sie so dastanden, versammelten sich in der Nähe immer mehr Krieger, um einen Blick auf die schwarze Schönheit zu erhaschen. Ihre geflüsterten Kommentare über Kalalas körperliche Vorzüge wurden immer lauter, hörbarer und anzüglicher. Weil die Prinzessin und ihre Begleiter nicht reagierten, scheuten sich die Achäer nicht, noch dreister und obszöner zu werden. Da riss Kalala der Geduldsfaden. In ihr erwachten das feurige Temperament ihrer Wüstenheimat und die Erinnerung an die Künste der Oasenhexen.
Drohend wandte sie sich an die Krieger.
»Wer es wagt, mich zu berühren, der wird bei lebendigem Leib verfaulen. Seine Haut wird sich vom Fleisch lösen und sein Fleisch vom Knochen. Während seine Augen längst erloschen immer noch meine Weiblichkeit schauen, wird der quälende Schmerz in seinem Skelett weiter wüten. Und selbst wenn seine Kameraden voll Erbarmen seine morschen Knochen verbrennen, wird seine Asche noch in Ewigkeit Qualen leiden, denn die dunklen namenlosen Götter Afrikas schützen mich. Ich bin Kalala, die Prinzessin von Gebel Abjad, die schwarze Perle Nubiens, der Stern der Oase Salima, Tochter der vielnamigen Göttin der Liebe und der Rache.«
Ein Mann trat aus dem Zelt und klatschte dreimal in die Hände: Agamemnon.
»Wahrlich königlich gesprochen, Prinzessin Kalala. Ich begrüße Euch in meinem verwahrlosten, nichtswürdigen Lager. Leider zwingen uns die Umstände hier zu dieser nicht standesgemäßen Lebensführung. Ich hoffe, Ihr fühlt Euch durch die Begehrlichkeiten meiner Männer nicht zu sehr belästigt. Der schlimme Krieg lässt sie verrohen, und der Sklavinnen sind stets zu wenige.«
»Ich denke, sie wissen jetzt, mit wem sie es zu tun haben«, entgegnete Kalala. »Ich freue mich, Euch kennenzulernen, König Agamemnon.«
Der Heerführer ignorierte Kalalas Begleiter und lud die Prinzessin in sein Zelt. Diese lehnte jedoch dankend ab und vertröstete den König auf ein andermal. Heute gehe es ihr nur darum, ihre Anwesenheit zu melden und sich vorzustellen. Schließlich wollten die Tajarim auf keinen Fall als Spione verdächtigt werden.
Auf dem Rückweg zum Schiff stapfte El Vis sichtlich eifersüchtig neben Kalala her. Als sie den Strand erreichten, flüsterte er ihr ins Ohr: »Ich weiß, dass ich ohne dich nichts bin. Aber wenn du weiterhin mit diesem arroganten Fürsten flirtest, werde ich nie wieder für dich singen.«
*
»Hast du verstanden, Menelaos?«, fragte Agamemnon seinen Bruder.
Der schüttelte verständnislos seine mächtige blonde Mähne. »Nein! Ich soll unseren Männern sagen, dass wir aufgeben und nach Hause fahren, damit diese sich weigern, nach Hause zu fahren, und hier bleiben? Das kapiere ich nicht!«
»Sieh, mein lieber Bruder! Unsere Männer sind nach zehn Jahren vergeblicher Belagerung völlig fertig. Sie wollen nicht mehr kämpfen. Seit dem Tod von Achilleus und Aias dem Großen erscheint ihnen alles
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