Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
in den Weg zu treten.
Am Strand angekommen, sank Aias auf die Knie und grub sein Schwert mit der Spitze nach oben senkrecht in den Boden. Er blickte zum Himmel und rief: »Um eine bescheidene Wohltat flehe ich zu dir, Vater Zeus: Sende mir meinen Bruder Teukros herbei, sobald ich gefallen bin, auf dass nicht mein Feind mich zuvor findet und mich den Hunden und Vögeln zum Fraß vorwirft. Euch aber, Erinnyen, euch Rachegöttinnen bitte ich, lasst Odysseus, der mich in diese schändliche Lage gebracht hat, durch sein eigenes, geliebtes Blut ein grausames Ende finden. Erscheine nun du, o Tod, und wirf einen Blick des Mitleids auf mich.«
Aias hielt noch kurz inne, dann stürzte er sich in sein Schwert.
*
Nach Seshmosis' Rückkehr und seinem Bericht berieten die Tajarim lange, wie es nun weitergehen sollte. Raffim setzte sich vehement dafür ein, das Lager der Achäer anzusteuern. Schließlich wollte er Handel treiben und war sich sicher, dass seine Ankersteine in einem Krieg einen hervorragenden Preis erzielen würden.
Kalala und Zerberuh plädierten dafür, diese kriegerischen Gestade umgehend zu verlassen und eine friedliche Insel anzusteuern. Seshmosis, sich an die letzte Prophezeiung von GON erinnernd, hielt sich im Hintergrund. Raffim setzte sich schließlich mit Hilfe von Barsil und Mani durch.
So erreichte die Gublas Stolz kurz darauf eine mit Schiffen übersäte Bucht. Teils ankerten sie, teils waren sie an Land aufgebockt.
Uartu steuerte das Schiff geschickt an den äußersten Rand einer Landzunge und befahl, das Boot dort festzumachen. Seine Mannschaft musste dies mit Tauen und Pflöcken tun, denn die Ankersteine waren für sie tabu.
Unsicher betraten die Tajarim den Strand. Es dauerte nicht lange, bis eine kleine Gruppe von Bewaffneten auf sie zukam. Die beiden Männer an der Spitze trugen prachtvolle Rüstungen und schwere goldene Halsketten. Der größere der beiden wandte sich an die Tajarim.
»Ich bin Odysseus, Fürst von Ithaka. Welch kühner Steuermann hat euch an diese kriegsverwüstete Küste gebracht? Oder haben euch eure Götter vollends verlassen?« Der Krieger schüttelte sich vor Lachen.
Da keiner seiner Freunde antwortete, ergriff Seshmosis das Wort: »Wir grüßen Euch, edler Fürst! Wir sind Händler aus Byblos und haben uns im Sturm verirrt.«
»Verirrt sagt ihr, verirrt? Hätte ich einen solch unfähigen Steuermann, der so weit vom rechten Kurs abkommt, ich würde ihn wahrlich auf den Grund des Meeres schicken, wo Poseidons Kühe weiden. Einem achäischen Seefahrer könnte solches nie passieren.«
Seshmosis antwortete mit Bedacht: »Nicht jeder ist ein so geschickter Steuermann wie Ihr, edler Odysseus, der seinen Weg durch alle Inseln findet. Unser guter Zerberuh ist wahrlich ein wackerer Segler, der seine Windsbraut viele Jahre auf dem großen Strom flussauf, flußab trieb, ohne sich je zu verirren. Auch fand er gut den Weg vom Delta des Nils bis zum großen Byblos. Doch jetzt scheinen wirklich die Götter das Steuer in die Hand genommen zu haben.«
»Ihr braucht euch nicht zu wundern, dass ihr euch verirrt habt«, entgegnete Odysseus. »Sehe ich doch, dass euer Schiff blind ist!«
Der Fürst von Ithaka deutete auf die Gublas Stolz. »Es hat keine Augen! Es kann ja überhaupt nicht sehen, wo es hinfährt. Wie soll es da den Weg übers Meer finden? Seht, all unsere Schiffe tragen am Bug Augen. Das ist der Grund, warum sich ein Achäer niemals auf der See verirrt.«
Seshmosis schaute auf die Schiffe in der Bucht. Erst jetzt fiel ihm auf, dass jedes von ihnen große, aufgemalte Augen am Bug besaß. Die Schiffe wirkten so wie unheimliche Meereswesen.
Der Schreiber beschloss, vom unangenehmen Thema ihrer navigatorischen Fähigkeiten abzulenken, und erklärte deshalb, dass man gern mit den Achäern Handel treiben wolle. Seshmosis berichtete auch, dass man gerade von den Gestaden Kretas käme. An diesem Punkt wurde der prächtig gekleidete Begleiter von Odysseus hellhörig.
»Kreta?!«, rief und fragte er zugleich. »Ihr wart kürzlich in Kreta?«
»Ja, wir hatten die Ehre, Gäste des Minos zu sein«, verkündete Seshmosis stolz.
»Aber ich bin doch der Minos! Ich, Idomeneus, Sohn des Deukalion!«
Seshmosis erstarrte. Hilfe suchend blickte er zu seinen Freunden, aber die schienen die Bedeutung der Worte des Mannes nicht zu begreifen.
Er selbst begriff es ja noch nicht einmal zur Gänze. Angestrengt überlegte er, dann fragte er:
»Seid Ihr wirklich der Sohn des
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