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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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diesen Menschen nahm, ohne ihnen etwas zu geben. Vielleicht, so dachte ich, halfen seine Masken ja doch. Schließlich hatte uns Schmuggler noch kein einziger erkrankter Reicher aufgesucht, weil er sich Heilung von uns versprach.
    Ich hörte eine Glocke, ihr Klang war langsam und klagend. Ich hob den Kopf und sah eine Gruppe Mönche gemessenen Schrittes im Rhythmus der Glockenschläge aus einer der Gassen kommen. Jeweils zu zweit zogen sie Holzkarren hinter sich her. Ich schluckte, als ich die in Tücher gehüllten Leichen darauf sah.
    Ihr Anführer trug die etwa kopfgroße Glocke, die ich hörte, in der linken erhobenen Hand und schlug mit der rechten den Klöppel, dann blieb er stehen, ließ die Glocke sinken und rief: »Bringt eure Toten heraus!« Daraufhin schlug er erneut die Glocke, und die Prozession aus Leichenkarren zog an den Häusern entlang. »Bringt eure Toten heraus!«
    Ich blieb stehen und wartete. Zuerst geschah nichts, doch dann öffneten sich die Türen der prachtvollen Patrizierhäuser, eine nach der anderen. Leichen, eingewickelt in weiße Tücher, wurden von Dienern herausgetragen. Angehörige folgten ihnen auf halbem Wege, manche wie betäubt, andere weinend oder mit ernsten, gefassten Gesichtern. Sie sahen sich um, als könnten sie nicht glauben, was ihnen widerfahren war.
    Ich drehte den Kopf, versuchte zu überblicken, wie viele Leichen herausgetragen wurden. Es waren Dutzende, fast vor jedem Haus sah ich ein weißes Bündel liegen, manchmal sogar zwei.
    »Bringt eure Toten heraus!«, rief der Mönch erneut, während seine Brüder die Leichen auf die Karren luden. Mit Pech malten sie einen langen Strich auf jede Tür, hinter der sich ein Toter befunden hatte, waren es zwei, fügten sie noch einen Strich hinzu.
    Ich dachte an die Bauern, die ich in der Hütte des Dorfes gesehen hatte, eine ganze Familie, ausgelöscht, ein Dorf, so leblos wie ein Friedhof.
    Und nun wütete die Seuche auch in Coellen, schlimmer, als ich es mir je vorgestellt hatte. Und ich stand nutzlos herum.
    Nicht länger, dachte ich und ging los.
    Jacob kniete neben einem älteren kranken Mann, als ich ihn in einer der Hütten antraf. Agnes stand neben ihm und reichte ihm feuchte Tücher an. Ich nahm sie ihr ab, ohne dass er mich bemerkte.
    Der Mann, der auf dem nackten Boden lag, atmete nur noch flach. Aufgeplatzte Beulen bedeckten seinen Hals und die Oberschenkel und schwelten auch in den Achselhöhlen. Er trug nur einen Lendenschurz.
    Jacob streckte die Hand aus, sah aber nicht auf. Ich reichte ihm eines der Tücher.
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    Jacob blinzelte überrascht und sah auf, aber er antwortete nicht.
    »Es tut mir leid«, wiederholte ich.
    Er legte dem Mann ein Tuch über die Oberschenkel und stand auf. »Wir haben beide Grund, uns zu entschuldigen.«
    »Lass es uns noch einmal versuchen.«
    Seine Mundwinkel zuckten. »Du hast mich tagelang nicht beachtet.«
    »Und das tut mir aufrichtig leid.« Ich beugte mich vor und küsste ihn auf den Mund.
    Jacob erwiderte den Kuss lang und leidenschaftlich.

Kapitel 37
    Czyne kehrte nur wenige Tage später zurück, aber die Stadt, die sie betrat, war eine andere, als die, die sie vor so kurzer Zeit verlassen hatte.
    Wir hatten Wachen in den Gassen rings um unsere Höhle aufgestellt. Plünderer zogen in Banden durch Coellen, drangen in Häuser ein, stahlen und mordeten. Soldaten waren fast keine mehr zu sehen, und wenn doch, dann rund um die Stadtmauer, das Rathaus und den Dom. Der Rest der Stadt war sich selbst überlassen.
    Und immer noch kamen Kranke zu uns. Agnes und ich begannen die Menschen, die sie brachten oder begleiteten, anzulernen, und erklärten ihnen, wie sie die Pusteln säubern und die Schmerzen lindern konnten und welchen Trank sie wann verabreichen mussten. Manche ließen ihre Kranken einfach in den Gassen zurück und gingen, waren zu ängstlich, um in ihrer Nähe zu bleiben, doch viele halfen uns.
    Jacob führte Buch über alle, die kamen, und über die wenigen, die gesund wieder gingen. Von zehn Kranken starben acht, aber die zwei übrigen überlebten und erzählten anderen davon, dass wir sie geheilt hätten. Wenn die Kranken kamen, konnten wir nicht sagen, wer es schaffen würde und wer nicht. Es schien keinen Grund für das eine oder das andere Schicksal zu geben. Vielleicht, das sagte ich auch Jacob, war es Gottes Wille. Ihm gefiel die Antwort nicht.
    Die Toten, all die vielen Toten, verbrannten wir mittlerweile in einer der verlassenen Hütten

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