Die Nonne und der Tod
des Herrn besänftigen!«
Seine Stimme kam aus dem Dom.
Ich ging auf das offen stehende Portal zu. Im Inneren, auf den Kirchenbänken, saßen Menschen und lauschten, andere standen an den Wänden, und viele von ihnen trugen die absonderlichen Pestmasken, manche verziert und bemalt, andere schwarz, dass sie wirkten wie Rabenköpfe.
»Nächtelang habe ich um eine Eingebung gebetet«, rief Erasmus mit durchdringender Stimme, »tagelang habe ich Pergamente aus Ägypten und dem Heiligen Land studiert, in Sprachen, die seit tausend Jahren keine Zunge mehr gesprochen hat – heiligen Sprachen!«
Erasmus stand auf der Kanzel wie ein Priester, sein Diener Lorenz hockte auf den Stufen, die hinaufführten, und beide trugen einfache, fast schon bäuerlich wirkende Kleidung.
Seine Zuhörer sahen alle wohlhabend bis reich aus. Im Gegensatz zum letzten Mal, als ich ihn hatte sprechen hören, reagierten die Menschen jedoch zurückhaltend, fast schon ablehnend auf seine Worte. Viele hatten die Arme vor der Brust verschränkt, und während ich zuhörte, standen einige auf und verließen den Dom.
Erasmus sprach von dem Leid, das sie alle durchgemacht hatten, und schürte die Angst vor dem Schrecken, der ihnen noch bevorstand. Und dann sprach er von den Masken.
»Es gibt solche, die in der Stadt verbreiten, meine Masken wären nicht nützlicher als die billigen Imitate, die windige Händler den Unwissenden in den Gassen andrehen. Zu denen sage ich: Kennt ihr auch nur einen, dem diese Imitate geholfen hätten? Und wenn ich mich hier umsehe unter euch, meine Freunde, sehe ich dann nicht viele, die meinem Rat folgen und sehr wahrscheinlich deshalb noch am Leben sind? Wenn meine Masken nichts taugen, wieso sind die Bänke vor mir dann nicht leer? Warum lebt ihr alle noch?«
»Meine Frau ist tot!« Ein Mann auf einer der hinteren Bänke stand auf. »Wir haben alles verkauft, was wir besaßen, um uns deine Masken leisten zu können, aber sie ist trotzdem gestorben. Und mein Sohn ist krank!«
Erasmus neigte den Kopf. »Dann werde ich für beide beten, denn mehr kann ich nicht mehr für sie tun, so sehr ich es auch wünschte.« Dann nahm seine Stimme einen beschwörenden Klang an. »Aber es ist Gottes Seuche, und er entscheidet, wen er zu sich holt und wen er im Kreis seiner Liebsten lässt. Etwas anderes habe ich nie behauptet.« Er beugte sich vor und umklammerte dabei den Rand der Kanzelbrüstung. »Das Geschenk, das er mir gewährt hat, befähigt mich jedoch dazu, die zu schützen, deren Schicksal er in meine Hände gelegt hat.«
Während er redete, stand sein Diener auf und ging zu einem Stapel Kisten rechts neben der Kanzel. Er öffnete die oberste, aber ich konnte nicht erkennen, was sich darin befand, denn ich war zu weit weg.
»Was hat er da?«, hörte ich einen Mann vor mir rufen.
»Sieht aus wie eine Kerze!«, rief ein anderer.
»Ja, Kerzen!«, bestätigte Erasmus. »Aber nicht irgendwelche Kerzen, sondern solche, deren Wachs die gleiche einzigartige Rezeptur enthält, die auch in meinen Masken wirkt. Zündet sie an, beträufelt eure Kleidung mit dem Wachs! In jedem Raum eures Hauses sollte eine solche Kerze stehen. Schlaft bei ihrem wohligen Schein, stellt sie beim Essen auf den Tisch, habt eine brennende Kerze immer dort, wo ihr euch aufhaltet, und euch wird nichts geschehen.«
Er begann aufzuzählen, was sich alles in diesem Wachs befand. Die meisten Worte, die er benutzte, hatte ich noch nie gehört, und ich fragte mich, wo er all diese angeblichen Kostbarkeiten herbekommen hatte, wenn die Schmuggler ihm doch nur ein paar Kisten geliefert hatten.
»Ich werde weiter an einer Heilung arbeiten, und ich bin sicher, dass Gott mir den richtigen Weg weisen wird. Doch zuerst lasst uns beten. Mein Diener wird in der Zwischenzeit alles vorbereiten. Er selbst schläft übrigens nur noch bei Kerzenlicht, und wie ihr seht, geht es ihm ganz hervorragend.«
Lorenz nickte bestätigend.
Um mich herum neigten die meisten den Kopf, als Erasmus auf Latein zu beten begann. Ich stellte mich wieder auf die Zehenspitzen und beobachtete die Zuhörer im Dom. Der Apotheker hatte keinen Preis genannt, aber es musste allen klar sein, dass er hoch sein würde. Trotzdem holten viele ihren Geldbeutel hervor und verließen die Kirchenbänke, so viele, dass in kürzester Zeit eine Schlange entstand.
Ich wandte mich ab und ging langsam über den Domplatz. Trotz aller Zweifel konnte ich nicht glauben, dass Erasmus log, dass er all das Geld von
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