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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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gegenüber des Innenhofs, den man durchqueren musste, um zur Falltür zu gelangen. Es war leicht geworden, leere Häuser zu finden. Eine Frau hatte mir erzählt, in der Gasse der Gerber würde niemand mehr leben.
    Mit den leeren Hütten und den verdorrenden Gärten kam der Hunger in die Stadt. Wir litten noch nicht darunter, die Reichen, die nach und nach zu uns kamen, bezahlten gut, und wer Geld hatte, konnte auch noch immer Essen kaufen. Doch andere hungerten, und mit dem Hunger breitete sich auch Wut aus.
    »Philip sagt, in den letzten zwei Tagen habe es an den Toren mehrere Aufstände gegeben«, sagte Czyne, als wir nach ihrer Rückkehr in der Höhle zusammensaßen.
    »Warum machen sie die Tore nicht einfach auf?« Richard hockte neben ihr auf der Bank und kratzte sich an seinem Verband.
    »Philip weiß es nicht. Vielleicht gibt es niemanden mehr, der den Befehl dazu geben könnte.«
    »Oder der Schmuggel ist immer noch ein zu gutes Geschäft für die Ratsmitglieder und ihre Familien.« Dythmar grinste breit. »Ich bin auch dagegen, die Tore aufzumachen. Noch ein paar Wochen, dann können wir unser Pökelfleisch in Gold aufwiegen.«
    »Und müssten das Gold dann fressen«, brummte Richard, »weil wir dann selbst keine Vorräte mehr haben.«
    Czyne nahm ihren Krug mit warmem Bier in beide Hände. Der August war der heißeste seit Jahren, doch in der Höhle blieb es kühl. »Wenigstens können wir gleich die erste Ladung Kräuter im Kloster abholen.« Sie nickte mir zu. »Ich möchte, dass Ketlin mitgeht.« Als sie meinen Blick sah, fügte sie hinzu: »Nicht ganz bis zum Kloster. Ich möchte nur, dass du dir ansiehst, was sie uns geben. Dann müssen wir nicht den ganzen Weg durch die Stadt zurückgehen, sollte diese Schwester Johannita versuchen, uns reinzulegen.«
    Das traute ich Johannita durchaus zu, darum nickte ich. »Gut. Und wer geht zum Kloster?«
    Czyne sah sich kurz um. »Rüsch, Dythmar, Richard …«
    »Und ich«, sagte Jacob. Er saß auf der anderen Seite des Tisches und zerschnitt Unterkleider, um neue Tücher für die Kranken zu erhalten.
    Richard lächelte, als hätte er nichts anderes erwartet.
    »Und Jacob«, sagte Czyne. »Passt auf Soldaten und Plünderer auf. Die ganze Stadt spielt verrückt.«
    Wir trafen Rüsch im Innenhof an. Er saß im Schatten und trank Bier. Als wir ihm erklärten, dass er mitkommen sollte und wohin es ging, erhob er sich tatendurstig und sagte: »Ich hoffe, dass einer was versucht!« Er legte die Hände auf die beiden Schwerter, die er seit ein paar Tagen im Gürtel trug. »Der Kerl, der mir die Klingen geschenkt hat, wusste, wie man sie schärft.«
    Er sagte geschenkt , und ich fragte nicht nach, was genau er damit meinte.
    Bis vor kurzem wäre es undenkbar gewesen, mit zwei Schwertern im Gürtel unbehelligt durch Coellen zu marschieren, doch das Waffenverbot interessierte niemanden mehr. Wer genügend Geld hatte, umgab sich mit bewaffneten Männern, wer nicht, sorgte dafür, dass er sich selbst verteidigen konnte.
    Rüsch schritt mit langen Schritten voran, wir folgten ihm.
    Ich ergriff Jacobs Hand, während wir durch die schmalen Gassen gingen. Irgendwo weiter entfernt wurde die Totenglocke, wie man sie mittlerweile nannte, geläutet. Die Karren rumpelten jeden Tag am Innenhof vorbei, hielten aber nie an. Die Mönche wussten, dass wir uns selbst um die Toten kümmerten.
    Ich sah in eine der Seitengassen. Eine Leiche lag mitten auf dem Weg, und zwei Männer waren über sie gebeugt und zogen dem Toten gerade das Unterkleid über die steifen Glieder. Einer der beiden sprang auf, als er uns bemerkte und keifte: »Was glotzt du so blöd?«
    Jacob zog mich weiter. »Abschaum«, sagte er leise, aber ich war mir nicht sicher, ob er die Plünderer meinte oder die Menschen, die begonnen hatten, ihre Toten wie Unrat auf die Straße zu werfen. Ich fragte ihn nicht danach.
    Rüsch drehte sich zu uns um. »Wir gehen am besten über den Domplatz, dort treibt sich weniger Gesindel herum.«
    »Sagt der Dieb und Schmuggler«, murmelte Richard.
    Ich lachte so laut, dass es in der Gasse widerhallte. Selbst Jacob grinste.
    Dann erreichten wir den Domplatz, wo uns vier Soldaten in den Weg traten. Sie trugen Rüstungen, Schilde und Schwerter. Ich sah ihre gelben Schärpen und hielt Rüsch am Arm fest. »Leg dich nicht mit ihnen an«, raunte ich ihm zu.
    »Ich weiß«, entgegnete er ebenso leise.
    »Wo wollt ihr hin?«, fragte einer der vier. Er war so kräftig wie Rüsch, aber größer und

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